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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Backbüchern nach.«
    »Und womit sollen wir backen?«, nörgelte Adelheid. Sie spürte Panik in sich aufsteigen und wie diese Panik nach ihrem Hals griff und ihn zuschnürte. Sie drückte zweimal auf die kleine Dose und inhalierte die rettende Medizin. »Mal angenommen, du bekommst einen Teig hin – sollen wir den dann in die Sonne legen und backen?«
    Eugen stellte die Kaffeetasse zurück. Richtig, dachte er, der Elektroherd war nutzlos ohne Strom.
    »Fahr doch nach Bonndorf. Vielleicht gibt es ja irgendwo was zu kaufen?«
    »Das hatten wir doch schon, oder?« Gestern Nachmittag waren beide in die nahe Stadt gefahren, weil sie dem, was sie gehört hatten, keinen Glauben schenken wollten und mussten mit eigenen Augen die geplünderten Geschäfte und das brennende Schloss ansehen.
    »Vielleicht hat im Dorf noch jemand ein Brot übrig.« Adelheid schöpfte neue Hoffnung.
    »Und wenn nicht?«
    »Was, wenn nicht?!« Nussberger verlor langsam die Geduld. »Ich geh ins Dorf und schau, ob ich was bekommen kann, ja? Und wenn ich mit leeren Händen zurückkomme, dann ist Zeit, sich über das Weitere Gedanken zu machen!« Er hasste diese endlosen Debatten, oder besser, die endlosen Monologe seiner Schwester, in denen sie sich liebend gern über eine Situation und sämtliche nur in Frage kommenden Widrigkeiten auslassen konnte. »Im Notfall«, fuhr er deutlich sanfter fort, »bringen wir den Teig zur Albicker hoch und fragen, ob wir unser Brot bei ihr backen können. Soviel ich weiß, hat sie noch einen alten Holzofen in der Küche.«
    »Stimmt!« Jetzt fiel es auch Adelheid wieder ein. »Du bist ein En gel!« Und schon ging es ihren Atemwegen deutlich besser.
    »Meinst du nicht, wir sollten uns oben am Hardt mal sehen lassen? Vielleicht brauchen die Hilfe dort.« Schon nach der gestrigen Versammlung im Gasthaus wollte Nussberger Christoph Eisele seine Hilfe anbieten, aber Adelheid hatte ihn zurückgehalten. Und auch jetzt war sie anderer Meinung.
    »Willst du allen Ernstes, dass deine kranke Schwester zwischen all den Toten da oben rumläuft?! Nein, nein, vergiss das ganz schnell. Das können die anderen ganz gut ohne uns. Und du bleibst auch hier! Du kannst mich schließlich nicht allein lassen, so ganz ohne Telefon. Stell dir vor, ich bekomme einen Anfall!«
    Daran hatte Eugen Nussberger auch schon gedacht. Er kannte die Asthmaanfälle seiner Schwester aus den vielen Vorführungen der letz ten Jahre nur zu gut und ihm lief es eiskalt den Rücken runter, wenn er daran dachte, dass sie einen Anfall bekommen könnte und es wäre kein Arzt erreichbar. Kein Arzt, der sie dann für ein paar Tage in ein Krankenhaus stecken würde.
    »Also gut.«
    Sie schwiegen und aßen weiter, während draußen die Sonne langsam höher stieg. Es war ruhig heute. An normalen Wochentagen rollte um diese Zeit der Berufsverkehr zwischen Bonndorf und Stühlingen an ihrem Haus vorbei, aber in der letzten Stunde war kein einziges Auto vorbeigekommen.
    »Glaubst du, heute gibt es wieder eine Versammlung in der Krone?« Adelheid nahm sich ganz selbstverständlich das letzte Stück Brot, bestrich es dünn mit Halbfettmargarine und legte eine Scheibe Käse darauf. »Wenn ja, könntest du doch vorschlagen, dass man im Dorf die älteren Leute irgendwie unterstützt, jedenfalls so lange, wie das Durcheinander noch anhält.«
    »Unterstützt?«
    »Na, mit Lebensmitteln zum Beispiel.«
    »Und wo sollen die anderen diese Lebensmittel hernehmen?«
    Adelheid wollte gerade etwas erwidern, als vor dem Haus ein Fahrzeug zum Stehen kam. Dann hupte jemand.
    »Wer kann denn um die Zeit was von uns wollen?« Es war fünf Minuten vor sieben, fast vierundzwanzig Stunden nach dem Aus. Adelheid stand auf und ging zur Tür. Sie hatte diese noch nicht richtig geöffnet, als sie ein Faustschlag mitten ins Gesicht traf. Zeit für einen Asthmaanfall blieb ihr nicht mehr. Sie fiel einfach nur um.

35
    07:00 Uhr, Wellendingen
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    Der normale Alltag im Dorf wandelte sich vollständig. In der Nacht hatten insgesamt siebenundzwanzig Personen eilig das Nötigste zusammengepackt. Sie verließen ihr Zuhause, weil sie sich Sorgen um Familienangehörige machten, weil irgendetwas ihnen sagte, dass sie jetzt bei ihren Eltern, Geschwistern oder Kindern sein sollten. Sie nahmen mit, was ihnen wichtig oder wertvoll schien und bepackten ihre Fahrzeuge. Sie luden die Kinder ein und verließen Wellendingen in al le Himmelsrichtungen. Ob und wann sie ihre Ziele – Stuttgart, Erfurt, Karlsruhe,

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