Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
Vom Netzwerk:
Bern – jemals erreichten, wusste keiner.
    Im Stall von Lydia und Andreas Albicker trafen Nachbarn bei den brüllenden Rindern ein und halfen beim Melken. Es tat ihnen gut, sich mit etwas Sinnvollem zu beschäftigen, es tat gut, nicht allein zu sein und sie brauchten die Milch.
    Jakob Kühne, der Pfarrer, hatte der alten Hildegund Teufel, der ehemaligen Haushälterin des Pfarrhauses, eine Kanne Milch gebracht und überhaupt schien die Verunsicherung, die der unerwarteten Notlage folgte, die Menschen eher zueinanderzutreiben denn zu trennen. Jeder kannte jeden und so war Kühne nicht der Einzige, der an Türen klopfte und sich erkundigte, ob alles in Ordnung wäre. Die Menschen rückten näher.
    Christoph Eisele traf als einer der Ersten an der Grube ein. Sie hatten gestern mit dem Aushub eines circa zehn mal zehn Meter großen Loches begonnen, mit einer Rampe für den Bagger auf der einen Seite. Aber tiefer als ein bis zwei Meter waren sie nicht gekommen, dann hatte die Dunkelheit ein Weitermachen unmöglich gemacht. Und die Erschöpfung der Männer.
    »Gestern um diese Zeit war die Welt noch in bester Ordnung«, sagte Eisele mit einem Blick auf die Uhr zu Bardo Schwab. Wie viele andere hatte auch Schwab an diesem Morgen als Erstes die Lichtschalter betätigt, hatte das Telefon abgenommen und gelauscht und den Himmel nach Flugzeugen abgesucht. Was er sah – oder besser, was er nicht sah – war eindeutig. Also verwarf er den Gedanken, nach Koblenz in seine Firma zu fahren. Was sollte er auch dort?
    Aus dem Dorf sahen sie Fausts Pick-up langsam näher kommen, auf der Ladefläche saßen etliche Personen.
    »Hat sich gestern ganz gut geschlagen, unser Frieder.« Eisele spielte mit dem Zündschlüssel des Baggers. »Ohne ihn hätte Wünsche das Monstrum hier wahrscheinlich niemals rausgerückt.«
    Bardo lachte. »Und wie er dir den Job hier aufs Auge gedrückt hat, war auch nicht schlecht!«
    Eisele schmunzelte und nickte.
    »Wäre mir zwar lieber gewesen, wenn er es selbst übernommen hätte, aber na ja – einer muss es schließlich machen.«
    Christoph Eisele hatte ein paar Stunden gebraucht, um sich mit seinem Schicksal zu arrangieren. Zuerst war er wütend auf Faust gewesen, der ihm unten in der Krone, vor dem halben Dorf, keine andere Wahl gelassen hatte; er konnte schließlich, nachdem er die Idee mit dem Massengrab hatte, nicht nein sagen. Aber es war schon in Ordnung so und sollten die Leichen hier verfaulen, würden nicht nur Tiere irgendwelche Krankheiten ins nahe Dorf schleppen, auch das Grundwasser wäre in Gefahr. Wenn es heute gut lief, könnten sie den größten Teil der Arbeit hinter sich bringen.
    Sie hatten sich für sieben Uhr verabredet und pünktlich traf einer nach dem anderen an der Absturzstelle ein. Den Männern und Frauen stand die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. In den Familien hatte man bei Kerzenschein bis weit nach Mitternacht zusammengesessen. Die Hoffnung, die sie beim Zubettgehen noch besaßen, hatte der heutige Morgen zerstört. Es gab keinen Strom, kein fließendes Wasser und und und. Manche Handys funktionierten zwar noch, aber was sollte man mit einem Telefon, wenn die zentralen Schaltstellen unter wegs schliefen? Noch konnte man das eine oder andere Gerät einschalten, alte Nachrichten lesen oder ein kurzes Spiel spielen. Aber spä testens in zwei, drei Tagen musste auch dieses Intermezzo vorüber sein – Akkus halten schließlich nicht ewig. Einzig Jürgen Mettmüller sprang fröhlich aus seinem dunkelgrünen Geländewagen. Er zog die Plane von dem vollgepackten Anhänger und präsentierte den anderen die Beute seines nächtlichen Raubzuges.
    »Hat wunderbar geklappt!«, rief er. »Fünfzehn Säcke Kalk.«
    Als man am Vorabend im Gasthaus zusammensaß und darüber nachdachte, wie man verhindern konnte, dass die vielen gleichzeitig verfaulenden Leichen das Grundwasser verseuchten, kam Eugen Nuss berger die Idee mit dem Kalk. Andere wollten die Grube mit Planen auslegen oder die Leichen auf die andere Seite des Berges bringen, wo sie allerdings das Grundwasser der Nachbardörfer bedroht hätten.
    Nussberger räusperte sich irgendwann, drückte seine Zigarre aus und sagte nur: »Kalk.«
    Jürgen Mettmüller war daraufhin in der Nacht nach Bonndorf gefahren. Der Raiffeisenmarkt war zwar geplündert, aber keiner schien bis dahin besonderes Interesse am Kalkbestand gehabt zu haben.
    »Das müsste reichen.« Christoph Eisele war zufrieden.
    Andere hatten einige Planen mitgebracht

Weitere Kostenlose Bücher