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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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wollten nach Stühlingen, kamen bis hierher, wo die Straße plötzlich nicht mehr passierbar war, und hatten einen kleinen Unfall. Nur den Schluss der Geschichte ändern wir ein wenig.«
    »Und wie?«
    »Wir sagen einfach, Sattler sei ausgestiegen und allein Richtung Stühlingen davonmarschiert. Klingt doch einleuchtend, oder? Wir wollten ihn noch zurückhalten, aber er hat gesagt«, Kiefer überlegte kurz auf der Suche nach der passenden Worten, »er sagte, dass er unbedingt Insulin brauche, sonst hätte er keine Chance.«
    Kiefer schien sichtlich zufrieden mit seiner Geschichte, nur Bubi sah skeptisch aus. In ihm stritten die Angst, den alten Mann, den er schon so lange kannte, einfach seinem Schicksal zu überlassen und der Wunsch, den bequemen Weg einzuschlagen, den Kiefer ihm gerade zeigte.
    »Trotzdem«, startete er einen letzten Versuch, »es wäre ja beinahe Mord, ihn hier so hilflos liegen zu lassen. Und was ist, wenn ihn jemand findet und Sattler dem dann die Wahrheit erzählt?«
    »Nicht, wenn wir ihn da rüber in den Wald legen und mit Reisig abdecken.«
    »He, er ist noch nicht einmal tot und du willst ihn schon beerdigen! Sag mal, spinnst du, Martin?«
    »Jetzt hör mir mal zu, Bubi! Hör mir zu und sei still dabei, verstanden?« Kiefer hatte Bubi an der Schulter gepackt und zu sich he-rumgedreht. Bubi nickte. »Wenn wir uns noch weiter mit Sattler aufhalten, verlieren wir nur unnötig Zeit, Zeit, die wir viel besser nutzen könnten. Bubi, vielleicht hast du es noch nicht kapiert, aber gestern hat eine neue Zeitrechnung angefangen! Es gibt keine Bullen mehr und keine Krankenhäuser. Keine Bank hat geöffnet und selbst wenn – in ein oder zwei Tagen werden die Leute merken, dass man Geld nicht fressen kann. Bubi, alles wird sich verändern, alles. Und weißt du auch, wer dabei gewinnen wird, wer der Sieger sein wird?« Bubi schüttelte den Kopf. »Der Stärkere wird gewinnen, Bubi! Wir werden gewinnen, wenn wir lernen, stark zu sein. Glaubst du, im Tierreich verschwendet irgendeine Ameise oder ein Reh Zeit damit, ein altes und krankes Tier zu umsorgen und am Leben zu erhalten? Nein. Und weißt du auch, warum? Weil es erstens sinnlos ist, jeder muss früher oder später sterben, und zweitens, weil jedes Tier die Zeit zum eigenen Überleben braucht. Und so wird es bei uns auch bald werden! Besser, du verstehst das jetzt und nicht erst, wenn es zu spät ist. Sattler hat keine Chance. Selbst mit Insulin nicht. Schau ihn dir doch an: er sieht kaum noch was, letztes Jahr hatte er zwei Operationen, weil irgendwelche Venen oder so verstopft waren und mit dem Pinkeln, hat er mir letztens erzählt, klappt es auch nicht mehr richtig. Angenommen, die Welt wäre in bester Ordnung, nur mal angenommen, dann stünden ihm, wenn er Glück hat, ja doch nur ein paar Jahre bevor, in denen jeder Arzt der Umgebung an ihm herumdoktern darf und er letztendlich doch jämmerlich krepiert. Ist dann das hier«, er zeigte auf den nahen Waldrand, »nicht der bessere Weg? Die alten Indianer sind wenigstens noch freiwillig aus ihrem Dorf marschiert und haben sich in die Wildnis zum Sterben zurückgezogen. Die wussten wenigstens noch, was sie ihrer Gesellschaft schuldig waren. Sieh es doch ein, Bubi, die Zeiten der Krankenkassen und Rentenversicherungen waren gestern! Heute sind wir!«
    Bubi zögerte noch immer. Ihm leuchteten Kiefers Worte ein, aber wollte er sie auch wahrhaben?
    Kiefer holte zum Todesstoß aus: »Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass unser alter Kamerad hier in seinem Häuschen noch die eine oder andere Überraschung für uns versteckt hat.« Er ließ die Worte in Bubi wirken.
    »Du meinst, wir sollen bei Georg einbrechen?«
    »Nein.« Kiefer zog die Buchstaben in die Länge. »Nicht einbrechen. Wir haben schließlich die Schlüssel.« Er stand auf, ging um den Wa gen herum zu Georg Sattler, der immer noch bewusstlos in der Mai-sonne lag, und kam mit dessen Hausschlüssel zurück. »Ganz einfach«, sagte er fröhlich und klimperte mit den Schlüsseln. »Ganz einfach, wenn man es sich nur nimmt!«
    Der innere Kampf war Bubi anzumerken. Er ging neben dem mitgenommenen Sportwagen auf und ab und fuhr sich immer wieder durchs Haar. Alles klang so einleuchtend was Kiefer erzählte, alles so simpel. Er musste sich eingestehen, dass wahrscheinlich alles so kommen musste wie sein Freund es gerade prophezeite. Aber über den Punkt, der Bubi die meisten Sorgen machte, hatten sie noch nicht gesprochen.
    »Was wird mein Vater

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