Rattentanz
dazu sagen?«
»Dein Vater?« Kiefer klang entsetzt. »Bubi, du bist ein erwachsener Mann! Du kannst tun und lassen, was immer du willst – deinen Vater hat das überhaupt nicht zu interessieren!«
»Es wird ihn aber interessieren, wenn ich in Sattlers Haus einbreche.«
»Bubi, vielleicht ist das jetzt deine Chance, endlich mal auf eigenen Füßen zu stehen. Du kannst bei deinem Vater ausziehen und dir irgendwo ein eigenes Haus nehmen. Hast du zugehört, Bubi, du kannst es dir nehmen! Wenn du willst.« Und, es klang so verführerisch in Bubis Ohren: »Ich könnte dir helfen, irgendwas aufzuziehen, wir könnten gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Gemeinsam wären wir stark!«
Sie schleppten den bewusstlosen Georg Sattler an Händen und Fü ßen fünfzig Meter über das Feld bis zum Waldrand. Dort zerrten sie seinen Körper eine Böschung hinunter, bis sie zwischen zwei alten Kie fern eine geeignete Mulde fanden. Martin Kiefer durchsuchte die Taschen des alten Mannes, fand aber, bis auf ein altes Stofftaschentuch und die fast leere Brieftasche, nichts. Er nahm das Kleingeld an sich, dann deckten sie Sattler mit Reisig und Laub zu.
Als sie den Hang zurückkletterten, warf Kiefer einen letzten Blick nach unten. »Man sieht nichts.« Es war ein stolzes Resümee.
Aber es ist trotzdem nicht recht, dachte Bubi. Und schwieg.
Sie brauchten eine Viertelstunde, um Kiefers Wagen zurück zur Straße zu schaffen. Der direkte Weg, den sie bei ihrem Ausweichmanöver eingeschlagen hatten, war zwar nur dreißig Meter lang, der tiefe Straßengraben zwang sie aber, einen langen Umweg bis zum nächsten Feldweg zu nehmen. Irgendwann verloren sie zuerst den Auspuff, dann die hintere Stoßstange, aber Kiefer schien das plötzlich nicht mehr zu stören. Ohne Unterlass beschrieb er Bubi die gemeinsame Zukunft in den herrlichsten Farben.
»Wir können machen, was wir wollen! Wenn du willst, suchen wir uns ein nettes Häuschen unten am Rhein aus, da ist es auch wärmer. Oder wir suchen uns noch ein paar Leute, auf die wir uns verlassen können und übernehmen gleich ein ganzes Dorf. Was meinst du, Bu bi? Wäre das nichts, ein komplettes Dorf und wir vorne dran?« Er wartete Bubis Antwort nicht ab, sondern konzentrierte sich auf die letzten Meter, dann hatte der Wagen endlich wieder festen Asphalt unter den Rädern. Kiefer trat auf das Gaspedal und der Wagen schoss mit viel Lärm davon. »Wir werden Frauen haben ohne Ende, Junge!« Kiefer schrie aus Leibeskräften. »Klassefrauen sind immer da, wo sie Erfolg und Reichtum wittern, weißt du? Sie haben einen Instinkt dafür. Wahrscheinlich angeboren.« Aber vorher muss ich mich noch um eine andere kümmern!, dachte er und trieb den lädierten Wagen fröhlich um die nächste Kurve.
Wie aus dem Nichts tauchten vor ihnen plötzlich zwei Militärfahrzeuge auf. Einer der tarnfarbenen Geländewagen raste in der Straßenmitte auf sie zu, Kiefer zog nach rechts, haarscharf zwischen einem Baum und den entgegenkommenden Wagen hindurch. Der Audi schlingerte und kam schließlich am Straßenrand zum Stehen. Die anderen hatten weniger Glück. Einer der beiden Wagen brach zur Seite aus und raste ungebremst in eine idyllische Baumgruppe. Unter der Kühlerhaube qualmte es. Der zweite Wagen zog in einem abgehackten Ausweichmanöver um den Unfall herum und fuhr ohne anzuhalten mit Vollgas weiter.
»Was waren denn das für Idioten?!« Kiefer legte den Rückwärtsgang ein und fuhr zurück. Sie stiegen beide aus und gingen zu dem völlig deformierten Wagen. Die zersplitterten Reste der Windschutzscheibe waren von innen blutbeschmiert und durch das Fahrerfenster starrte sie ein Soldat mit verzerrter Grimasse an. In seinem Gesicht kooperierten Überraschung und Entsetzen einvernehmlich miteinander. Er blutete heftig aus beiden Ohren und einer frischen, sehr tiefen Wunde an der Stirn.
Die beiden Soldaten waren Mitglieder des deutsch-französischen Corps’ aus Donaueschingen. Nachdem von ihren Vorgesetzten seit Stunden keine Befehle mehr angekommen waren, hatten sie in der Nacht ihre Straßensperre aufgelöst und waren mit einigen konfiszierten Flaschen Bier auf gut Glück davongefahren.
Der Oberkörper des Beifahrers lag unnatürlich verbogen auf dem Armaturenbrett. In der Hand hielt er eine brennende Zigarette, die bald die Finger erreichen würde.
»Idioten!«, fluchte Kiefer und öffnete die Beifahrertür. Süßer Rauch schlug ihnen entgegen. »Die waren bekifft! Kein Wunder, dass die mitten auf der
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