Rattentanz
dann verschwand er im Haus und zog die Tür hinter sich zu. Er drehte den Schlüssel zweimal um und legte die Kette vor.
Sutter blieb allein zurück.
Dreißig Minuten später klopfte Lorenz Sutter an die Tür von Susanne und Frieder Faust.
»Frieder ist noch mit dem Förster unterwegs«, sagte Susanne. Dann vergingen einige Sekunden, in denen sich beide ansahen, aber keiner etwas sagte. »Du kannst aber ruhig reinkommen und hier warten«, meinte Susanne schließlich. Sutter nahm an.
Susanne stellte Sutter ein Glas und eine Kanne Wasser auf den Küchentisch. »Kannst du ruhig trinken«, nahm sie seine Frage vorweg. »Ist abgekocht.« Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer, zurück an die unterbrochene Arbeit. Sie kniete sich auf den Teppichboden, griff eine kleine, harte Handbürste und fuhr fort, Staub und Krümel und Flusen in mühevoller Kleinarbeit aus der teuren Auslegware zu klauben. »Der Staubsauger geht nicht«, sagte sie, als sie Sutters fragenden Blick sah. »Und so einfach zusammenrollen und über dem Balkongeländer ausschütteln, wie unsere kleinen Läufer …«, sie zuckte die Schultern, ließ den Satz unvollendet und kümmerte sich wieder um die wichtigen Dinge des Lebens.
Sutter sah sich in der hellen Küche um. Alles war sauber, jedes Ding stand korrekt an seinem Platz. Eine Uhr tickte im Hintergrund, nur das Summen des Kühlschranks fehlte, ebenso die kleinen Digitalanzeigen an Mikrowelle und Herd. In einem Korb auf der Anrichte entdeckte Sutter ein paar Äpfel und Bananen. Die Bananen hatten sich dunkel verfärbt, waren braun und die Frucht unter der Schale mit Sicherheit so süß, wie es nur überreife Früchte sein konnten. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen und erst jetzt merkte er, dass er seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen hatte. Durch das Küchenfenster sah er Lea Seger und den einzigen Überlebenden der Flugzeugkatastrophe. Lea führte den Mann an der Hand durch den Garten, zeigte hierhin und dahin und schien ihm dabei etwas zu erklären.
Dann kam Bubi in den Garten.
Bubi kam neugierig näher. Er kannte Lea seit ihrer Geburt und mochte die Kleine, wenn er auch nicht gerade viel für deren Vater übrighatte. War seiner Meinung nach nicht schlimm, dass der gerade für längere Zeit in Schweden war.
Bubi setzte sich neben Assauer und betrachtete ihn mit unverhohlenem Interesse. Der einzige Überlebende der Flugzeugkatastrophe vom Hardt machte noch immer keinerlei Anstalten, aus seinem Dämmerzustand zu erwachen. Bubi stieß die flache Hand vor Assauers Augen, aber der Mann blieb unbeweglich. Nichts deutete darauf hin, dass er etwas von seiner Umgebung wahrnahm.
Bubis Körper steckte noch immer in der verblichenen Jeans und dem inzwischen mehr als streng riechenden T-Shirt, das er nun schon den dritten Tag trug. Und seine strohblonden Haare schrien förmlich nach Wasser. Aber er tat dies mit einem Kratzen ab und griff sich einen kleinen Stock, der neben der Bank lag. Lea kämmte jetzt ihre Puppe.
»Macht der wirklich gar nichts?«
»Nein.«
»Läuft nie weg?«
»Nein.«
»Und hat noch kein Wort gesagt?«
»Nein.«
Bubi piekste Assauer mit dem Stock in die Seite, ohne dass Assauer reagierte.
»Ist ja ein richtiges Haustier.«
»Herr Mittwoch ist kein Haustier«, stellte die Siebenjährige richtig. »Onkel Frieder hat gesagt, er wird irgendwann wieder aufwachen, das ist nur wegen dem Sock oder so, weil er doch mit dem Flugzeug da drüben abgestürzt ist.«
»Schock, Lea, das heißt Schock.«
Bubi hatte Assauer, seit er ihn mit seinem toten Enkelsohn im Arm gefunden hatte, nicht wiedergesehen. Was ihn an dem Mann interessierte, lag digital abgespeichert in den Tiefen seiner Kamera versteckt. Die Hoffnung, mit den Bildern vom Trümmerfeld viel Geld verdienen zu können, hatte er inzwischen aufgegeben, nichtsdestotrotz gierte alles in ihm, sein Werk endlich auf dem Computerbildschirm in seinem Zimmer sehen zu können. Irgendwann.
Er piekste ein weiteres Mal, diesmal etwas fester. Assauer zuckte leicht, der Gesichtsausdruck aber blieb gleich.
»Glaubst du«, fing Lea an, während sie ihre Puppe weiterkämmte und den beiden Männern den Rücken zuwandte, »glaubst du, dass der Strom heute Abend wieder funktioniert? Heut kommt doch Momo im Fernsehen und Mama hatte mir versprochen, dass ich das angucken darf, ich hab ja morgen keine Schule, morgen ist ja Wochenende.« Lea sprang plötzlich auf, gab Bubi ihre Puppe und stürmte durch die offene Terrassentür in Susanne und
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