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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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beseitigte alle eventuellen Spuren, die Thomas und sein Vater hinterlassen hatten. Sie selbst hinterließ niemals etwas, vom strengen Geruch des Reinigungsmittels abgesehen.
    In Mutters guter Stube durfte nur zu besonderen Anlässen gegessen werden. Diese Anlässe waren von ihr klar definiert: Kaffee und Kuchen zu Vaters Geburtstag und das gemeinsame Frühstück am 1. Januar, bei dem traditionell die Fernsehübertragung des Neujahrskonzertes lief.
    Umso erstaunter war Thomas, dass ausgerechnet sein achtzehnter Geburtstag Grund sein sollte, eine Ausnahme zu erlauben. Aber offensichtlich war es so und Mutter hatte ihn zur Tür hinausgeschoben und der milden Junisonne überantwortet.
    Nummer zwei flüsterte: Geh nicht weiter! Bitte, geh nicht!
    Aber es war schon zu spät. Thomas mochte vielleicht noch zwei oder drei Meter von der mit unzähligen Schnitzereien verunstalteten Parkbank entfernt gewesen sein, als das Mädchen ihn ansprach: »Na Kleiner – hättest du Lust?« Dabei rutschte sie auf der Bank nach vorn, spreizte die Beine und streichelte sich. Ihre Begleiter brachen in schallendes Gelächter aus und Thomas errötete. Er schämte sich und sah zur Seite. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und versuchte, schnell an dem Mädchen und ihren männlichen Begleitern vorbeizukommen. Aber einer der beiden war schneller. Urplötzlich streckte er sein in glänzend schwarzem Leder steckendes Bein aus, Thomas stolperte und fiel der Länge lang auf den Kiesweg.
    Wenn das deine Mutter sieht! Die neuen Hosen!, drohte Nummer zwei.
    Thomas dachte noch über das nach, was Nummer zwei gesagt hatte, als ihn kräftige Hände packten und auf die Füße stellten. Die beiden Männer (Thomas hatte sich entschlossen, sie als Männer zu bezeichnen) standen rechts und links von ihm. Als er weitergehen wollte, hielten sie ihn zurück.
    »Jetzt mal nicht so eilig«, brummte der Beinsteller und drückte ihn auf die Bank. »Oder willst du dich nicht mal bedanken? Schließlich haben wir dir eben wieder auf die Beine geholfen.«
    »Richtig. Ganz richtig«, kicherte sein Freund, ein kleiner, kräftiger Kerl, der, wie ein kleiner Bruder des größeren, ebenfalls schwarze Lederhosen, klobige braune Schuhe und ein ärmelloses T-Shirt trug. Um die muskulösen Oberarme der beiden wanden sich Schlangen, kämpften Monster gegeneinander und wurden grinsende Totenschädel von Fantasieschwertern durchbohrt. Auch das hässliche Mädchen war tätowiert. Rechts am Hals trug sie ein schlecht gemachtes Kreuz aus nackten Knochen. Thomas träumte noch oft von den mit Schatten hinterlegten Skelettteilen. In ihrer Mitte lachte ein winziger, schielender Schädel. In seinen Träumen sprang ihn immer die hässliche, tote Frat ze an und fragte: »Na, Kleiner, hast du Lust? Hast du Lust, mein Sü ßer?« Denn das waren die Worte des Mädchens gewesen, als sie sich ritt lings auf Thomas’ Schoß setzte. Ihre Fingernägel mussten vor etlichen Tagen einmal schwarz lackiert gewesen sein. Jetzt war das meis te abgeblättert und er konnte die dunklen Ränder darunter erkennen. Während sie ihre Füße rechts und links von ihm auf die Parkbank stellte, fasste sie ihm mit dem Zeigefinger unters Kinn und hob Thomas’ Kopf. Die Männer amüsierten sich köstlich.
    »Mein Gott, stellt der sich an«, mäkelte der Große. »Jetzt hat er schon mal das geilste Stück der Umgebung auf dem Schoß und dann so was!«
    Thomas blieb steif sitzen. Er klammerte sich an die Bank und durchsuchte seinen Kopf nach einem Rat seiner beiden Stimmen. Aber die hatten Angst und sich in den hintersten Teil seines Denkens zurückgezogen und blieben stumm.
    »Ich wette, der hatte sein Ding noch nie irgendwo drin.«
    »Das könnten wir ja ändern«, flötete das geilste Stück der Umgebung.
    Thomas konnte ihren Atem auf der Haut spüren. Sie roch nach Speiseresten zwischen den Zähnen und nach kaltem Rauch. Thomas versuchte zu ergründen, was sie gegessen haben könnte.
    Im Fürstlich Fürstenbergischen Schlosspark waren an diesem Tag wenig Menschen unterwegs. Zwei Rentnerinnen fütterten Enten und unterhielten sich über ihr Krankheiten, zwei Kinder nahmen die Abkürzung durch den Park und beeilten sich, pünktlich in die Jugendkunstschule zu kommen, und eine Handvoll Touristen fotografierte Donauquelle und Schloss. Ein alter Mann, mit Stock und einem altersschwachen Dackel im Schlepptau, näherte sich dem seltsamen Quartett auf der Parkbank.
    »Müsst ihr das hier in aller Öffentlichkeit machen?«,

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