Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
Vom Netzwerk:
noch jede vier te Lampe und die Patientenzimmer blieben ganz unbeleuchtet. Aber von draußen drang helles Tageslicht durch große, geschlossene Fenster, welche die Gerüche von Krankheit und Tod in den engen, mit jeweils drei Betten besetzten Räumen festhielten. Auf der einen Seite der Scheibe jubelte der Frühling, auf der anderen das Schweigen des Herbstes.
    Eva Seger, die hier als Krankenschwester arbeitete, konnte sich nur schwer konzentrieren. Die Intensivstation, ein langer, breiter Flur mit insgesamt sieben Patientenzimmern, war zum Brechen voll und stän-dig lag der aufdringliche Ton eines mehr oder weniger bedeutenden Alarms in der Luft. Maschinen meldeten das Ende einer Infusion, unregelmäßige Atemzüge eines Patienten oder ein holpriges EKG. Und mit dem stromlosen Sekundenbruchteil vor dem Anspringen des Notstroms vor wenigen Minuten war es zu allem Überfluss auch noch not wendig geworden, jede der Maschinen auf ihre Einstellungen hin zu überprüfen und die ausgelösten Alarme zu quittieren. Eva Seger hatte hier in Donaueschingen ihren Beruf gelernt. Seit mehr als fünfzehn Jahren kannte sie die Klinik, zuerst auf einer chirurgischen Station, seit acht Jahren nun hier. Anfangs hatte sie die viele Technik gestört, aber es ist wie mit allem: War man erst einmal bereit, sich auf etwas einzulassen, waren die anfänglichen Ängste bald vergessen. Lächerlich.
    Seit Leas Geburt arbeitete sie nur noch Teilzeit. Erst mit Leas Einschulung und durch Susannes Hilfe war es ihr möglich, mehr als ein oder zwei Tage pro Woche zu arbeiten.
    Evas Blick wanderte aus dem Fenster, während sie ihrem Patienten, Aleksandr Glück, das Gesicht wusch.
    Es war an der Zeit, dass sie Hans von ihrer Schwangerschaft erzählte. Sie hatte schon viel zu lange gewartet. Immerhin ahnte sie es seit sechs Wochen und wusste es seit vierzehn Tagen mit Bestimmtheit. Komisch, dass ihm ihre morgendliche Übelkeit noch nicht aufgefallen war. Vielleicht war sie aber auch eine bessere Schauspielerin als sie selbst glaubte. Eva freute sich auf das Kind. Sie hatten nach Leas Geburt schnell ein zweites Kind gewollt, aber dass sie jetzt seit sieben Jahren ohne Verhütung miteinander schliefen ohne dass etwas passiert war, hatte Eva schon fast an ihren Fähigkeiten als Frau zweifeln lassen. War sie eine richtige Frau, wenn sie nicht einmal ein zweites Kind empfangen konnte?
    Eva liebte den Gedanken an eine riesige Familie. Sofort hätte sie auf die Arbeit hier verzichtet, um einzig und allein für ihren Mann und einen Stall voller Kinder da zu sein. Sie träumte oft davon, wie es wäre, wenn an dem riesigen Küchentisch nicht nur sie, Lea und Hans, sondern noch ein halbes Dutzend weiterer Kinder säßen. Lea war schon so groß, viel zu groß, als dass sie Evas Muttertrieb allein hätte befriedigen können. Aber Hans zuliebe hatte sie sich in den letzten Jahren eingeredet, dass so, mit nur einem Kind, alles irgendwie in Ordnung wäre. Wer weiß, vielleicht wäre das nächste Kind behindert oder krank oder tot. Dann doch lieber ein gesundes Kind, wie Hans immer sagte.
    Hans hatte sich mit der Situation bemerkenswert gut und schnell arrangiert. Für ihn war das Leben in Ordnung und Evas Sehnsucht nur schwer zu verstehen. Und das war der Grund, warum sie die frohe Nachricht so lange für sich behalten hatte. Aber sobald Hans morgen Abend aus Schweden zurück war, wollte sie ihm reinen Wein einschenken.
    Vor zehn Jahren hatten sie sich kennengelernt, sie und Hans. Damals hieß sie noch Eva Kiefer, war Martin Kiefers Frau. Bei ihrer ers ten Hochzeit war sie gerade neunzehn und heiratete den Erstbes ten, wie es ihr im Nachhinein vorkam. Aber um von ihrer Mutter wegzukommen war ihr damals jedes Mittel recht. Eva hatte keine Geschwister und ihr Vater war der unglücklichste Mensch, den sie kann te. Zwischen ihm und Mutter gab es selten ein gutes Wort. Eigentlich konnte sie sich an keinen Moment ohne Spannungen erinnern. Mutter wollte mehr, wollte etwas aus ihrem Leben machen, sich verwirkli chen, entwickeln und etwas darstellen. Aber dazu hatte sie, wie sie selbst vor Fremden freimütig zugab, den verkehrten Mann, einen Mann, der nicht in der Lage war, ihre Wünsche zu erfüllen und sie dann zu allem Überfluss auch noch geschwängert hatte. Evas Mutter behandelte ihre Tochter ein Leben lang wie ein unerwünschtes Fundstück, das sich uneingeladen eingenistet hatte und einfach nicht mehr ging. Als Martin Kiefer irgendwann erschien und sein Interesse an Eva

Weitere Kostenlose Bücher