Rattentanz
noch.«
»Benzin haben Sie genug?«
»Benzin?« Er brauchte einen Moment, bis er den aktuellen Sinn der Frage verstand. Richtig, alle Tankstellen hatten nach einem spontanen Räumungsverkauf geschlossen. Die Tankanzeige aber versprach einen fast vollen Tank. Er hatte es sich in den drei Jahren im Wald angewöhnt, niemals von einem Einkauf zurückzukehren, ohne den Wagen randvoll zu tanken. Der Tankwart verdrehte jedes Mal schon die Augen, wenn er ihn kommen sah, denn Malow hatte seit seinem letzten Besuch nie mehr als sieben oder acht Liter verbraucht, wenn überhaupt. Jetzt war er für diese Marotte dankbar.
»Sie haben nicht zufällig noch etwas Essbares in Ihrem Gepäck?« Sie musterte seinen Rucksack auf dem Rücksitz. »Wissen Sie, ich habe heute noch nichts gegessen und«, sie machte eine Pause, in der sie abwechselnd Malow, ihre Hand und den Rucksack betrachtete. Sie spielte mit dem Saum ihres Rockes, zögerte, atmete schließlich tief ein und zog ihren langen Rock weit über das Knie. Sie begann, sich zu strei-cheln (eine Geste, die sie irgendwann auf einem nicht gerade jugendfreien Video gesehen und seither unter dem Begriff »Verführung« abgespeichert hatte). »Und ich kann mich auch erkenntlich zeigen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.« Ihre Stimme war kaum noch zu hören, so leise sprach das Mädchen. Die Farbe ihres Gesichtes hatte sich während ihrer Worte von schneeweiß fast übergangslos in krebsrot verwandelt.
Henning Malow verstand sofort. Sie lächelte ihn an, die personifizierte Verführung mit Spange. Aber ihre Augen blickten starr und kalt. Sie hatte Angst, er könne ihr Angebot annehmen.
Wer weiß, wie Malow reagiert hätte, wenn ihm noch ein paar Sekunden Zeit zum Überlegen geblieben wären. Immerhin lagen seine letzten Erfahrungen auf diesem Gebiet fast drei Jahrzehnte zurück und ein junges Ding wie diese Tina hätte selbst weniger vernachlässigte Männer zum Grübeln gebracht. Sein Blick wechselte zwischen ihrem Knie, Tinas eingefrorenem Lächeln und der Straße hin und her. Aber gerade, als er zu einer Antwort ansetzte und dabei den Wagen um ein ausgebranntes Fahrzeug herumsteuerte, versperrten plötzlich drei Männer den Weg.
Wie aus dem Boden gewachsen standen sie mitten auf der schmalen Straße, rechts und links Häuser. Alle drei sahen mitgenommen aus, einer humpelte, die anderen hatten frische Verletzungen im Gesicht. Sie trugen Eisenstangen und ein Typ in dreckigen Latzhosen machte, als das Auto langsam näher kam, mit der Hand ein Zeichen, anzuhalten. Folgsam schaltete Malow herunter und bremste. In sicherem Abstand, zwanzig Meter, blieb er stehen. Den Motor ließ er laufen.
»Fahren Sie weiter!« Tinas Stimme zitterte wie eine angeschlagene Saite. »Die sehen nicht aus als ob sie etwas Nettes mit uns vorhätten. Bitte! Fahren Sie!«
»Kennst du dich hier aus?«
Tina schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht«, sagte Malow. »Frag den Mann, wie wir zum Hafen kommen, dann verschwinden wir.«
Einer der drei war zum Beifahrerfenster gekommen. Gierig musterte er Tina und ihr nacktes Knie. Sie schob den Rock nach unten und obwohl ihr der Mann alles andere als sympathisch war, kurbelte sie das Fenster ein Stück herunter und fragte nach dem Weg zum Fährhafen.
»Zur Fähre wollt ihr? Die fahren schon lange nicht mehr, meine Sü ße. Alles im Eimer, weißt du.«
»Wissen Sie, ob uns vielleicht ein Fischer über die Ostsee bringen kann?«
Statt einer Antwort riss der Fremde die Tür auf und packte das Mädchen am Handgelenk.
»Nein!«, schrie sie und versuchte sich dem Griff zu entwinden.
Die Freunde des Angreifers klatschten aus sicherer Entfernung und feuerten den Angreifer an.
Malow gab Gas und Tina spürte, wie die Hand, die sie aus dem Wagen zerren wollte, plötzlich locker ließ. Nur mit Mühe schaffte es der Mann, neben Tina herzuhumpeln, die Freude verschwand aus seinem Gesicht. Malow schaltete in den zweiten Gang. Der Gurt hielt Tina an ihrem Platz und der Mann ließ endlich los. Er stolperte, packte im letzten Moment noch ihren Rücksack, dann stürzte er.
»Mein Rucksack!«
Sie rasten auf die verbleibenden Männer zu. Breitbeinig versperrten diese die Straße, ihre Eisenstangen erhoben. Der Rucksack war ihnen nicht genug, sie wollten mehr. Vielleicht den Wagen, auf jeden Fall aber das Mädchen. Der Typ in der Latzhose grinste dem heranjagenden Suzuki entgegen. Wer sollte ihm diesen Sieg noch nehmen? Alle hielten an. Alle. Malow konnte das breite Grinsen des
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