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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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am Abend dieses 27. Mai über die Zukunft von Eckard Assauer und Thomas Bachmann entschieden werden soll te. Der Wellendinger Rat sollte über Bleiben oder Gehen der Männer befinden. Am liebsten hätte Basler auch Joachim Becks Zukunft auf der Tagesordnung gesehen, aber selbst einem Mann seines Schlages war klar, dass der Polizist nur noch wenige Tage, vielleicht nur noch Stunden zu leben hatte.
    Ich will nicht hier bleiben, flüsterte Nummer zwei, als die dünne Haushälterin, Fräulein Guhl, ihm die Einladung ausrichtete.
    Nummer eins vertrat die Meinung, dass dieser Polizist sterben würde, egal wie fürsorglich Eva auch an ihm herumdokterte. Er hatte schon zu viel Blut verloren, war weiß wie das Laken einmal gewesen war, das er vollblutete, und der Puls, den Eva immer wieder an Handgelenk und Hals fühlte, wurde schwächer und unregelmäßiger. So sag te sie es jedenfalls dem Pfarrer, als der wieder einmal ins Zimmer kam und sich nach Beck erkundigte.
    Nach uns erkundigt sich niemand, mäkelte Nummer zwei. Wir sind wieder einmal allen egal, wie immer.
    Die dünne Frau hatte ihm seine Aktentasche wegnehmen wollen! Aber sie hatte sie nicht bekommen und nachdem Eva ihr erklärt hatte, was es mit der Tasche auf sich hatte und wie wichtig sie Thomas war, hatte diese nicht wieder davon angefangen.
    Eva war gut zu ihm. Und sie war auch zu anderen gut. Eine Frau und ein Mann, der ein krankes Mädchen auf den Armen trug, waren gekommen und hatten Eva um Hilfe gebeten. Sie hätten gehört, dass sie Medikamente dabei habe. Natürlich hatte sie Medikamente, einen ganzen blauen Plastiksack voll, und er, Thomas Bachmann, hatte diesen auf dem kleinen Handwagen bis hierher gezogen. Aber davon nahm natürlich niemand Kenntnis.
    Eva hatte das Mädchen untersucht und den Eltern gesagt, dass das Schlimmste wohl bereits überstanden wäre. Trotzdem hatte sie ihnen Antibiotika gegeben, sechs riesige Tabletten, von denen sie dem Kind jeden Tag eine halbe geben sollten. Sechs Tabletten, die die Eltern glück lich machten. Aber für Beck hatte sie keine Tabletten und auch für Thomas nicht.
    Bis zum Abend blieben Eva und Thomas bei Beck und lauschten sei nem Atem. Eva schlief immer wieder ein und ihre Augen waren rot unterlaufen. Sie sei müde, sagte sie zu Thomas, und sie habe es satt, Menschen sterben zu sehen.
    Aber der Tod ist ein Teil des Lebens. Keiner wird ihm jemals entgehen und glücklich sind die, die ihn früh entdecken! So ist er. Er ist hier und da und dort. Aber immer, wenn wir ihn rufen, erschrickt er und versteckt sich, wie ein scheues Rehlein im Walde. Dummer Tod. Ignorierst uns, als ob es unser Flehen gar nicht gäbe. Und wir sehnen uns doch sooo nach dir! Am Abend, die Sonne, die am Nachmittag endlich die schweren Regenschleier durchbrochen hatte, stand bereits tief über den Hügeln, die das Dorf umgaben, erschien der Pfarrer und bot sich an, ihn und Eva zur Ratsversammlung zu begleiten. Eva bestand auf ihrer Teilnah me. Sie fühlte sich für Thomas Bachmann und Joachim Beck verantwortlich, denn ohne sie wäre keiner der beiden hier.
    Thomas spürte, wie ungern Eva den Polizisten allein ließ. Sie bat die Haushälterin des Pfarrers, nach dem Verband zu sehen und sie sofort zu holen, sollte es Beck schlechter gehen. Dann folgten sie und Thomas dem Pfarrer durch das Haus und das Dorf bis zu einem ärmlichen Bauernhaus, vor dem erste Ringelblumen an einer Hausecke blüh ten. Die gelben und orangefarbenen Blüten erinnerten Thomas an den Garten seiner Großmutter, in dem es vor Ringelblumen nur so gewimmelt hatte. Im Spätsommer hatte Großmutter Salbe aus ihnen gemacht.
    Der Pfarrer führte sie in einen niedrigen, dunklen Raum voller Men schen.
    Thomas blieb an der Türschwelle stehen. Mit einem Mal war es in seinem Kopf still. Seine Stimmen flüsterten nicht, sie tuschelten nicht. Sie schwiegen – und das bedeutete normalerweise Gefahr!
    »Herzlich willkommen!« Basler erhob sich und drückte die weiche Hand des Pfarrers. »Danke, dass Sie unsere Gäste herbegleitet haben. Und Ihre Predigt gestern – ich bin noch gar nicht dazu gekommen, Ihnen zu gratulieren!« Ohne eine Erwiderung von Pfarrer Kühne abzu warten ließ er die Hand los und griff nach Evas Rechter. »Wir haben uns nur kurz gesehen, Eva. Wie du vielleicht schon weißt, stehe ich unserem kleinen Rat hier vor, und das sind unsere anderen Mitglieder.« Er führte Thomas und Eckard Assauer, der unmittelbar nach ih nen eingetroffen war, nacheinander zu

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