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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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es auch für einen Menschen geben, der, mit blutenden Handgelenken an einen Balken gefesselt, einer Möwe für deren Gesellschaft in seinen letzten Stunden dankbar war. Hoffnung war ein unbekanntes Wort – bis dieses Geräusch auftauchte.
    Er konnte es kaum noch erwarten! Langsam – für Hans Seger eine Ewigkeit – kam das Geräusch näher. Dann erschien endlich ein kleiner Geländewagen.
    In ihr Gespräch vertieft, fuhr Henning Malow mit seiner ungewollten Fracht über den blanken Strand. Der war fest und gleichmäßig flach, besser als die Straßen mit ihren stehen gelassenen Fahrzeugen und Barrikaden. Außerdem fühlten sie sich hier relativ sicher. Es gab nur ein paar Ferienhäuser. Sie wollten noch ein oder zwei Kilometer zwischen sich und die Stadt bringen und dann in einem der Häuser übernachten.
    Tina zeigte Henning Malow gerade eine Gruppe Möwen, die irgendetwas auf dem Wasser gefunden hatte und sich darum stritt, als plötzlich ein tiefes Loch vor ihnen im sonst makellosen Strand auftauchte. Malow versuchte in letzter Sekunde, den gemütlich dahinfahrenden Wagen herumzureißen, aber zu spät. Unter dem linken Vor derrad brach der Boden weg. Abrupt kamen sie zum Stehen, dann sank das Auto langsam auf die Seite und rutschte zur Hälfte in Hans Segers Fahrrinne.
    Malow kletterte über Armaturenbrett und Motorhaube aus dem Wagen, Tina reichte ihm das Kind. »Diese verfluchten Bälger!« Eindeutig, dass hier Kinder gespielt haben mussten. Wer sonst käme auf die verrückte Idee, hier ein so riesiges Loch zu buddeln. Überall lagen Holzstangen umher. Der Motor knackte. Die Möwen auf dem Meer stritten. Aus entgegengesetzter Richtung kam ein Krächzen.
    Hans Seger hatte den Unfall beobachten können. Alles in ihm jubilierte, als er einen Mann, ein kleines Kind und eine Frau aussteigen sah. Eine Familie! Und sie trugen weder Waffen noch war sonst etwas an ihnen, das gefährlich erschien. Er versuchte, sich bemerkbar zu machen und zu rufen, aber das trockene Krächzen, das er zustande brach te, erinnerte eher an Schleifpapier denn an menschliche Laute. Seger räusperte sich, alles brannte wie Feuer, und spie einen dicken, grüngrauen Klumpen aus. Versuchte es zumindest, denn das, was er nach draußen beförderte, blieb an einem dünnen Faden an seiner Lippe hängen und tropfte auf seine Hose.
    »Hilfe«, rief er endlich. »Hallo. Hallo!«
    Jetzt endlich bemerkte ihn Malow. Sein Kopf fuhr herum. Er zog Tina hinter sich und suchte instinktiv nach seinem Taschenmesser.
    »Sehen Sie doch, da steht jemand!« Tina wollte sofort zu Seger laufen, aber Malow hielt sie zurück.
    »Bleib hier!« Er sah sich um, ein Tier auf der Flucht. Er zog Tina und den Jungen hinter das nutzlose Auto. »Siehst du irgendwo noch jemanden?«
    »Nein. Nur den Mann dort«, erwiderte sie. »Warum kommt er nicht her?« Der Fremde stand am Geländer eines Ferienhauses und starrte zu ihnen herunter.
    »Ihr bleibt hier«, befahl Malow. »Ich sehe nach, was er will. Und bleibt hier, egal, was passiert! Verstanden?«
    Tina nickte.

77
    19:53 Uhr, Wellendingen
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    Standen Thomas’ Stimmen unter Schock? Seit seiner gestrigen Ankunft hier im Dorf flüsterten sie nur noch miteinander – Geheimniskrämerei im eigenen Kopf.
    Der dickliche Pfarrer und seine energische Haushälterin hatten Thomas in ihrem Pfarrhaus einquartiert, in einem riesigen Gebäude, viel zu groß für nur zwei Personen, wie Thomas fand. Er bekam eine Kleinigkeit zu essen und ein Glas Wasser und blieb im Haus und bei Joachim Beck. Der lag in einem riesigen Bett. Alles war riesig hier, bis auf den Pfarrer selbst.
    Beck blutete weiter aus seiner Wunde am Rücken. Auch aus der Na se tropfte wieder Blut und zeichnete Blütenblätter auf schneeweiße Bettwäsche. Das Sterben übte, nicht nur wegen seiner dritten Stimme, einen merkwürdigen Reiz auf Thomas aus. Es zog ihn an wie ein Magnet und er beobachtete, wie das Blut Tropfen für Tropfen aus Becks Na se fiel. Bald bildete sich ein winziger See aus Blut unter dessen Kopf. Eva hatte Beck auf die Seite legen lassen um seinen Rücken zu verbinden und aus seiner gebrochenen Nase troff es und der spärliche Bart des Mannes badete im eigenen Blut.
    Am späten Nachmittag klopfte Frederike Basler an die Pfarrhaustür. Ihr Mann ließ Thomas Bachmann ausrichten, dass er am Abend zur Ratsversammlung bei Hildegund Teufel eingeladen wäre, es ginge dabei um ihre persönliche Zukunft hier im Dorf. Roland Basler hatte endlich durchgesetzt, dass

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