Rattentanz
was nach Fisch riecht.«
»Hm, ich liebe Fisch«, sagte Malow.
»Und ich hasse Fisch! Genauso wie den Geruch hier auf dem Meer.«
»Dann war das wohl nicht gerade Ihr Traumjob?«
»War schon in Ordnung. Ich musste das Zeug ja nur einkaufen, nicht kosten. Und im Lauf der Jahre gewöhnt man sich sogar an Fischgeruch. Zuletzt hat es mir jedenfalls nicht mehr so viel ausgemacht.«
Henning Malow reichte Hans ein Seil, er selbst hielt ein anderes in der Hand.
»Was soll ich damit?«
»Sich anbinden. Sollte heute Nacht einer von uns im Schlaf über Bord gehen, bleibt er so wenigstens in der Nähe des Floßes.«
»Schlafen? Sie Optimist. Wie sollen wir hier schlafen? Wenn wir uns hinlegen, sind wir sofort völlig durchweicht.«
»Dann schlafen wir eben im Sitzen, wird schon gehen. Aber schlafen müssen wir auf jeden Fall. Und jetzt binden Sie ein Ende um Ihren Bauch, das andere hier an das Holz.«
Hans folgte Malows Beispiel. »Sie haben Erfahrung mit solchen Aben teuern?«
»Gott bewahre! Im Grunde bin ich viel zu alt für derlei Späße. Ich sollte jetzt eigentlich in meinem Haus am See sitzen und mir die alten Knochen an einem Lagerfeuer wärmen.«
»Sie haben ein Haus am See? In Schweden?«
Malow nickte.
Hans Seger hatte sich solch ein Haus immer gewünscht, wenigstens im Urlaub. Kommendes Jahr wollte er Eva und Lea einmal mitnehmen auf eine seiner Reisen und, sobald das Geschäftliche abgeschlossen war, eine Woche Urlaub dranhängen. In einem einsamen Haus am See, mit einem kleinen Boot, am Abend Lagerfeuer.
Er erzählte Malow von seinen Plänen. »Aber in den kommenden Wo chen wird wahrscheinlich niemand mehr so schnell an Urlaub denken. Wenn das alles irgendwann vorbei ist, wird es Monate dauern, bis alles wieder aufgebaut ist.«
»Schon verrückt, was so ein kleiner Ausfall unserer Systeme für Aus wirkungen hat.« Malow spuckte ins Wasser. Die Möwe stürzte sich auf das vermeintliche Mal und sah dann enttäuscht und vorwurfs voll herüber. »Hätten Sie mit solchen Auswirkungen gerechnet? Vor allem, wie die Menschen plötzlich miteinander umgehen, wenn sich jeder auf einmal selbst der Nächste ist?«
»Ich hätte mir nicht einmal vorstellen können, dass so etwas überhaupt einmal geschieht«, sagte Hans. »Alles schien sicher und vorhersehbar. Und jetzt, jetzt sind wir schon so weit, dass wir ein Kleinkind am Strand aussetzen.«
»Haben Sie eine Ahnung, was der Grund all dessen ist? Haben Sie in Malmö irgendetwas mitbekommen?«
Hans schüttelte den Kopf und erzählte Malow von den Plünderungen, die kurz nach dem Stromausfall einsetzten, den Flugzeugabstürzen und dem Toten am Strand. Und von einer Tankerexplosion, die einen Teil der Öresundbrücke mit sich gerissen hatte. Malow starr te ins Leere als versuche er sich vorzustellen, was Hans erlebt hatte. Kurz nach Sonnenuntergang setzten sie sich Rücken an Rücken in die Mitte des Floßes und schliefen wenig später ein.
Hans Seger erwachte am nächsten Morgen als Erster. Heute war Dienstag, wenn er richtig gerechnet hatte. Dienstag, der 29. Mai. Das Erste, was er wahrnahm, war, dass er praktisch nur noch gürtelaufwärts existierte, der tieferliegende Rest seines Körpers schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Er spürte Malows warmen Rücken an seinem. Regelmäßig hob und senkte sich der Körper des anderen im Tiefschlaf.
Hans betrachtete seine Beine. Die Hosen waren inzwischen komplett durchweicht. Die Kälte schmerzte nicht einmal mehr, sie hatte alles einfach nur betäubt. Er versuchte zuerst das rechte und, als dies irgendwie funktionierte, auch das linke Bein zu bewegen. Wenigstens etwas.
Im Osten leuchtete der Himmel glutrot. Letzte Wolkenreste verloren sich. Die Nacht hatte das Floß erneut unbemerkt nach Westen ausgerichtet, wahrscheinlich waren sie in den vergangenen sechs Stunden einige Kilometer abgetrieben. Hans suchte im Norden nach einer Küstenlinie und war erleichtert, dass es keine gab. Er wollte überallhin, nur nicht zurück nach Schweden.
Die Möwe hatte den Schutz der Dunkelheit genutzt und sich zu ih nen aufs Floß gesellt. Den Kopf unter einem Flügel, kauerte sie an der vordersten Stelle und schlief. Alles war so ruhig. Kein Motor, kein Luftzug, kein Vogel, keine Stimme. Das einzige Geräusch, vielleicht sogar im Umkreis von mehreren Kilometern, war Henning Malows Atem.
Hans pustete in seine klammen Hände und rieb sie leise aneinander, er wollte weder Malow noch die Möwe wecken. Aber den Vogel hatte das
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