Rattentanz
Bachmann.
Eva und Assauer erhoben sich, als sie Faust kommen sahen.
»Steht das Angebot von gestern noch?«, fragte Assauer.
»Selbstverständlich.«
»Ich möchte bleiben«, sagte Assauer.
»Und Thomas auch«, sagte Eva. »Er ist ohne mich völlig allein.«
Dann zeigte sie auf eines der Fenster hinter ihr, das Fenster, hinter dem Joachim Beck lag. »Joachim Beck ist eingeschlafen.«
Noch ein Toter, fuhr es Faust durch den Kopf. Noch einer mehr, der leben könnte, der keinen natürlichen Tod gefunden hatte.
»Das tut mir leid. Konnte man gar nichts tun, um ihn zu retten?«
Eva schüttelte den Kopf. »Die Verletzungen waren zu schwer.« Seit Fuchs’ Messer Becks Lunge durchbohrt hatte, war sein Tod beschlossene Sache. Jetzt hatte er es geschafft.
Eva ging mit Thomas zum Pfarrhaus und stemmte sich gegen die schwere Tür. Im Türrahmen blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. »Thomas freut sich. Auch wenn er seine Gefühle nicht so zeigen kann wie wir.« Dann wurde sie von dem Gebäude verschlungen. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.
81
15:00 Uhr, Ostsee
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Erst am Nachmittag riss der graue Wolkenschleier auf. Die einzige Orientierungsmarke, die sie anfangs besaßen – die Küste –, hatte sich längst im Nichts aufgelöst. Im stillen Einverständnis waren sie nach Tinas Kopfsprung weitergerudert. Sie schwiegen und bewunderten den Mut des Mädchens.
Endlich konnten sie die Position der Sonne erkennen. Sie verglichen diese mit den Anzeigen ihrer Armbanduhren. Eine schwache Strömung, die vor der schwedischen Küste zurück in den Öresund floss, hatte sie leicht nach Westen getrieben. Sie korrigierten ihren Kurs und steuerten nun wieder nach Süden.
Die Sonne tat ihnen gut. Beide spürten weder Gesäß noch Füße. Das kalte Salzwasser zeichnete weiße Krusten auf ihre Hosen. Aber es gab keine Alternative. Ringsum lag die Ostsee grau und leer, gespens tisch leer, als habe es niemals zuvor ein Schiff gegeben. Die Wolken zogen sich immer weiter zurück. Das Meer begann wieder zu leuchten. Und mit der Rückkehr des Lichtes besserte sich auch langsam die Laune der Männer.
»Wir haben richtig entschieden«, sagte Malow endlich, mehr um sich selbst zu beruhigen denn zu Hans. »Der Kleine wäre niemals ru hig geblieben.«
»Vielleicht wäre er über Bord gegangen.«
Malow nickte. »Ihm beim Ertrinken zuzusehen wäre noch viel schlim mer gewesen.«
Und sie verfielen in angestrengtes Schweigen und ruderten weiter, Meter für Meter ihrer Heimat entgegen.
Bis Sonnenuntergang arbeiteten sie an ihrer Heimkehr. Jede Stunde legten sie eine kurze Pause ein, in der sie ein paar Schluck Wasser zu sich nahmen und etwas ausruhten.
Segers Möwe hatte sich ihnen angeschlossen. Der Vogel ließ sich im Wasser treiben. Wurde der Abstand zum Floß zu groß, kam er ihnen mit einigen kräftigen Flügelschlägen hinterher, drehte ein paar Runden um ihr Gefährt und ließ sich schließlich in unmittelbarer Nähe nieder. Bis ihr stetes Rudern den Abstand zwischen Männern und Vo gel wieder so weit vergrößert hatte, dass es die Möwe für angebracht hielt, ihnen zu folgen.
»Weiß auch nicht, welchen Narren der Geier an mir gefressen hat«, sagte Hans. Die Sonne versank in einem milchigen Dunstschleier über dem Meer. Die Ruderstangen hatten sie eingeholt und auf dem Floß festgezurrt.
Sie entfernten die Lappen, mit denen sie ihre schwieligen Hände umwickelt hatten, und aßen eine Kleinigkeit. Die Möwe betrachtete sie dabei und zog an einem Stück Seetang.
»Was hat Sie nach Schweden verschlagen?«
Hans Seger warf das letzte, fingernagelgroße Stück Brot aufs Meer hinaus. Sofort stieg die Möwe in die Höhe, suchte einen Moment, dann hatte sie Segers Geschenk entdeckt und jagte im Sturzflug darauf zu – ein gefiederter Torpedo. Kurz vor der Wasseroberfläche – Malow rechnete schon mit einem Einschlag des Tieres – breitete die Möwe die Flügel aus, fing ihren Fall ab und sammelte das aufgeweichte Brot ein. Elegant stieg sie erneut empor und suchte nach mehr.
»Tut mir leid.« Hans hielt ihr entschuldigend die leeren Handflächen hin.
Vorsichtig, denn jede Bewegung der Männer quittierte das kleine Floß mit heftigen Bewegungen, rutschte er so weit es ging nach hinten und urinierte ins Meer. Eine falsche Bewegung und sie und ihre Vorräte wären verloren.
»Ich war geschäftlich in Schweden«, antwortete Hans endlich. »Ich bin zwei-, dreimal jedes Jahr in Malmö. Bin Einkäufer für fast alles,
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