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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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gen und waren sie still, war er es sowieso. Ihm gefiel das Dorf und ihm gefielen die Menschen hier. Was wollte er mehr?
    Nummer zwei hatte einen Narren an Lea Seger gefressen, ihrem kleinen Engel. Sie vergaß in den Stunden, die Thomas mit dem Kind beim Kühehüten verbrachte, sogar Paris, die Stadt ihrer Träume. Überhaupt dachte sie in letzter Zeit sehr wenig an Paris, die allgemeine Ru he in Thomas’ Kopf tat ihr ausnehmend gut, ein Gefühl, meinte sie einmal vor dem Einschlafen, an das sie sich gewöhnen könnte.
    Selbst Nummer drei, Thomas’ Albtraum, gab sich – allerdings mit deutlichem Widerwillen – diesem neuen Gefühl der Zufriedenheit hin. Was wollte er mehr? Hier lebte eine alte Frau, die Teufel hieß und sich offen im Ort, ja sogar in der kleinen Kirche, bewegte. Er sah in Hildegund Teufel die Großmutter eines gehörnten Herrn mit selbem Na men und er durfte mit ihr im selben Ort leben, durfte an ihrem Haus vorbeigehen – an ihrer Tür stand: T E U F E L – und er durfte sie sogar manchmal sehen und gemeinsam mit Thomas in ihr Haus. Dies war endlich ein Leben, welches diesen Namen auch verdiente und Nummer drei vergaß über sein unverhofftes Glück sogar seine allgegenwärtige Todessehnsucht. Warum auch noch sterben, wenn er hier bei der Verwandtschaft des Leibhaftigen leben konnte?
    Während das halbe Dorf nach Frieder Faust suchte, hatte Thomas am Morgen sieben Kühe aus dem Stall getrieben. Die Tiere, die ihr bisheriges Leben ausschließlich im Stall verbracht und Gras nur als etwas gekannt hatten, was ein stinkendes, lautes Ungetüm in ihre Trö ge warf, hatten sich inzwischen an die neugewonnene Freiheit gewöhnt. Gern liefen sie vor Thomas und Lea her, trotteten durch das Dorf und auf die Wiese, die heute für sie vorgesehen war.
    Lea und Thomas hatten sich angefreundet. Schon ihr erstes Treffen hatte Thomas fasziniert. Oder besser, zwei seiner Stimmen waren fasziniert. Nummer zwei, weil Lea all die weiblichen Instinkte in ihr weckte, Nummer drei, weil dieser kleine Engel, den sogar des Teufels Großmutter einmal berührt hatte, auf ihn eine unheimliche Anziehungskraft ausübte. Er sah in Lea so etwas wie einen Gegenspieler zu Hildegund Teufel. Gut und Böse. Ein Engel und die Leibhaftige.
    Lea fand in Thomas einen äußerlich Erwachsenen, allerdings einen, der sie verstand. Natürlich, ihre Eltern verstanden sie auch – oder ga ben sich jedenfalls viel Mühe, sie zu verstehen –, aber Thomas war an ders. Er verstand sie einfach und er sprach ganz normal mit ihr und so, dass sie ihn auch begriff, nicht wie die Großen, die das eine sagten, aber etwas anderes meinten und sich anschließend wunderten, weil Lea nicht folgen konnte. Thomas war anders, Thomas war wie sie. Ein Kind. Z
    ufrieden trottete sie neben ihrem Freund aus dem Dorf und musterte dabei die Umgebung. Sie hatte ihrer Mutter versprechen müssen, sobald sich ein Fremder sich näherte, nach Hause zu rennen und sich zu verstecken. Nur unter dieser Bedingung hatte Eva Seger schließlich mit einigen Bauchschmerzen Leas Bitte nachgegeben und sie Thomas Bachmann anvertraut. Und auch ihm nahm sie dasselbe Versprechen ab.
    »Bist du wirklich verrückt?«, fragte Lea. Sie saßen auf der Wiese, die ihnen Andreas Albicker gestern gezeigt hatte, und ließen die Tiere laufen. Thomas suchte den Boden nach Spinnen ab. Anschließend pflückte er sich einen besonders langen Grashalm, an dem er den Rest des Tages kauen würde. Seine schwarze Tasche lag neben Thomas im Gras. Die Tatsache, dass in ihr seine Thermoskanne mit frischem Melissentee lag, beruhigte ihn.
    Leas Frage beantwortete er mit einem Achselzucken. Er redete nicht gern, meist verstand ja doch keiner, was er sagte – die Worte schon, aber nicht, was sie bedeuteten. Außer Lea, die war anders. Vielleicht, weil sie ein Kind war. Das erste Kind, das er kennenlernte.
    »Bubi hat gesagt, du wärst zwar nicht ganz richtig im Kopf, aber trotzdem ganz nett. Und er findet es lustig, dass wir so gut miteinander auskommen.«
    Während der Tage auf den Wiesen bei Wellendingen war es fast im mer Lea, die sprach und Thomas ihr geduldiger Zuhörer. Thomas sagte nie »Sei still!« oder »Ich hab jetzt keine Zeit«.
    »Was bedeutet eigentlich verrückt?« Sie sah ihn an und Thomas wusste, dass er diesmal um eine Antwort nicht herumkam.
    »Wenn du Dinge denkst oder siehst oder hörst, die alle anderen nicht denken, sehen oder hören.«
    »Dann ist man verrückt?« Leas Stimme überschlug sich

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