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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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gegen Metall und fiel schließlich mit einem lauten Platsch in eine Pfütze. Das Schnarchen setzte aus.
    Silvia erstarrte. Reglos kauerte sie vor dem Führerhaus, in dem Hans und Malow schliefen, und wartete auf ihre Entdeckung. Nach wenigen Sekunden setzte Malows Schnarchen wieder ein und das Fahrzeug schwankte leicht, als Hans sich auf die andere Seite drehte. Vorsichtshalber wartete Silvia noch einige Minuten. Sie lehnte am Kühlergrill, direkt über sich die beiden Windschutzscheiben des Führerhauses. Als sie glaubte, mindestens eine Stunde reglos gewartet zu haben – ihre Uhr sagte, dass es genau vier Minuten gewesen waren – richtete sie sich auf. Sie wollte sich in das Fahrzeug zwängen, wie sie es am Abend bei den Männern beobachtet hatte, dann nach den Rucksäcken tasten und anschließend ebenso leise wieder verschwinden.
    Sie stieß sich vom Dach des unter dem Lkw liegenden Fahrzeugs ab. Aber anstatt dass sie ihrem Ziel näher kam, entfernte sich dieses plötzlich von ihr!
    Silvia spürte, wie das durchgerostete Dach unter ihrem Gewicht nachgab. Sie drohte in den Kleinwagen zu stürzen und versuchte, sich an dem Lkw festzuhalten. Die dunkle Leere unter ihren Füßen machte Silvia Angst. Sie kämpfte gegen den Absturz, ihre Hände umklammerten den Kühlergrill und sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht loszuschreien vor Schmerz und Angst. Schließlich gab der Grill mit einem trockenen Plopp nach. Er riss aus seiner korrodierten Verankerung und klappte nach unten. Silvia stürzte in den darunterliegenden Wagen und fiel zur Seite.
    Die abrupte Gewichtsverlagerung brachte die gesamte unsichere Schrottkonstruktion ins Schwanken. Vielleicht wäre nichts weiter passiert und das Kartenhaus hätte sich noch einmal gefangen, als aber Hans und Malow wach wurden, glaubten sie, bereits zu fallen. Gleichzeitig versuchten sie ihr Versteck zu verlassen und erst jetzt, dank ihrer Mithilfe, neigte sich der Lkw nach vorn. Er rutschte ein Stück, dann brach ein Vorderrad durch das Dach des Wagens, in dem Silvia lag.
    Dann ging alles blitzschnell. Das Adlernest stürzte vom Baum. Der gesamte Schrotthaufen geriet ins Rutschen. Silvia sah, wie sich das Loch im Dach plötzlich verschloss, sah, wie sich der Käfig, in dem sie saß, verbog. Scheiben splitterten, der Lkw rollte über sie hinweg. Er überschlug sich und Regen nieselte wieder in ihr Gefängnis. Sie hörte den infernalischen Lärm, mit dem der Laster in die Tiefe polterte und unmittelbar darauf ein dumpfes Krachen und die Schreie der Männer.
    Der Krach musste Larissa geweckt haben. Silvia wusste nicht, ob die Männer etwas von ihrer Anwesenheit mitbekommen hatten. Sie blieb mucksmäuschenstill in ihrem Versteck. Die Vibrationen und Schwankungen des Schrottberges hörten nach und nach auf. Hier und da noch ein leises Poltern. Schließlich war alles still. Totenstill.

89
    07. Juni, 01:30 Uhr, Wellendingen
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    Die kurzen Momente, in denen Frieder Faust erwachte und sich auf so etwas wie die Wirklichkeit besann, waren fast noch schlimmer als die endlosen Stunden im Delirium. Wenn er sich in dieser Traumwelt befand, der Welt, die das fehlende Gift des Alkohols in ihn hexte, passte alles auf grauenhafte Weise. Es war nur natürlich, dass er gefesselt war, denn er war der Gefangene einer wabernden Insektenmasse. Kleine gelbe Monster umlagerten ihn, schnüffelten und aus ihren Mäulern tropfte leuchtender Schleim. Sie hatten sicher einen Grund, gerade ihn zu quälen. Faust wusste in diesen Momenten nicht, warum sie ihn gefangen hielten, was sie von ihm wollten, aber die Fesseln, die seine Hände und Füße umklammerten, waren nur folgerichtig, ein böser Tupfen in einem bösen Bild. Die Fesseln spreizten Arme und Bei ne ab und es war ihm unmöglich, sich zur Seite oder auf den Bauch zu drehen. Wenn sie ihr Gift in ihn injizierten (die Lust dazu überkam seine Peiniger fast stündlich), schüttelten ihn Krämpfe und das Gift zerfraß sein Gedärm. Auf seine Schreie reagierte niemand.
    Er hatte Angst um sein Leben, Angst vor den seltsamen Menschen, die immer wieder zu ihm kamen und mit den wartenden Monstern unter einer Decke stecken mussten. Denn öffnete sich die Tür, stoben die kleinen Wesen auseinander und warteten anschließend in den vier Ecken des Raumes, bis die Person die Tür wieder hinter sich schloss. Dann kamen sie erneut zu ihm. Es lief ein grausames Spiel, mit ihm als Hauptakteur, eine Art Folter mit dem Ziel, ihn am Leben zu erhalten, einzig

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