Rattentanz
für das Vergnügen der gelben Wesen.
Frauen suchten ihn in regelmäßigen Abständen auf. Faust vermutete, dass ihre Besuche einem Rhythmus folgten, genau sagen konnte er es nicht. Der Raum war lichtlos, bis auf ein, sich immer wieder wandelndes, diffuses Leuchten vor ihm und das giftige Strahlen seiner tausend Wächter. Befand er sich im Delirium, ohne Wissen um sich, sein Leben und die Gründe seiner Gefangenschaft, blieb alles unverständlich aber doch wieder passend: wer auch immer er selbst war, was auch immer er getan haben musste und wo er sich befand – er war Gefangener dieser Wesen und sie hatten ihn gefesselt und würden ihn früher oder später töten. Er vermutete, dass er schon Tage, wenn nicht Wochen so lag. Die Frauen, die ihm Essen (einen leblosen Brei), hauptsächlich aber Wasser brachten, reinigten auch seinen Körper und wechselten die Decke, auf die er seine Ausscheidungen laufen ließ. Sie schienen an diese Arbeit gewöhnt, verrichteten sie zügig und erwiderten seinen irren Blick mit einem Lächeln. Ihn anzulächeln aber passte nicht. Oder war es Teil seiner Folter? Hoffnung in einer hoffnungslosen Situation?
Eva hatte empfohlen, Faust für die Zeit, die sein Zustand andauern würde, zu fesseln. Nur so konnte man eine erneute Flucht verhindern und nur so kamen sie und Susanne nah genug an Frieder heran, ohne Gefahr, von ihm angegriffen zu werden. Sie hatten Fausts Schlafzimmer komplett ausgeräumt und den Boden mit Matratzen ausgelegt. Aus dem ganzen Dorf hatten Bubi weitere Matratzen angeschleppt, bis Boden und Wände des Raumes abgepolstert waren. Auch das Fenster hatten sie abgedeckt und dick gepolstert.
»Jetzt können wir nur noch hoffen. Und beten.«
Wirklich schlimm war sein seltenes Erwachen, die kurze Rückkehr in seinen wirklichen Körper. Im diffusen Tageslicht, das sich zwischen den Matratzen hereinzwängte, erkannte er die flache Lampe an der De cke. Dann wusste er, wer er war und wo er sich befand. Faust konnte sich sogar an den Flugzeugabsturz erinnern und daran, dass die Lampe über ihm ein sinnloses Relikt war. Faust wusste, dass er in einem Rat mitarbeitete und die Nahrungsmittel knapp wurden.
Aber er wusste nicht, weshalb er hier lag.
Wer hatte sein Schlafzimmer in eine Zelle verwandelt? Und WARUM, zum Teufel?
Als er jetzt erwachte, konnte er nichts erkennen. Kein Licht, keine Monster.
Er fror. Die dünne Wolldecke war zur Seite gerutscht. Splitternackt, gefesselt und unfähig, sich selbst zu helfen, starrte er ins Nichts. Unter ihm lag eine zweite Decke – völlig nass geschwitzt. Sie zog in den seltenen fieberfreien Intervallen zusätzlich Wärme aus seinem Körper. Die verrutschte Decke bildete keine glatte Unterlage mehr, sondern einen Wust aus Falten, die ihn zusätzlich peinigten. Wer tat ihm das an? Wer war hierfür verantwortlich? Fausts Schultern und Hüften schmerzten, ebenso Hand-und Fußgelenke. Die unnatürliche Haltung und sein tagelanger Kampf gegen die Fesseln hatten seine Muskeln verkrampft und in eine einzige brennende Masse verwandelt. Steinhart loderte sie in ihm. Steinhart, wie auch Fausts randvolle Blase.
Faust wusste nicht, welche Möglichkeit ihm seine Aufseher zum Urinieren gaben. Wie hatte er es in den Tagen davor getan? Oder gab es keine Tage davor, war er erst seit wenigen Minuten hier und erwachte gerade aus dem Schlaf, in den sie ihn versetzt hatten, um ihn fassen zu können?
Er tastete den schmalen Halbkreis ab, den seine Fesseln als Spielraum hergaben. Es war wenig, viel zu wenig, höchstens zwanzig Zentimeter auf beiden Seiten. Aber er bekam wenigstens einen Zipfel der Decke zu fassen, auf der er lag. Er versuchte, an ihr zu ziehen – ein Ding der Unmöglichkeit.
Welchen Grund gab es für diese Veranstaltung? Der Grund, wenn er doch nur das Warum wüsste!
Der Umstand, dass er in seinem eigenen Schlafzimmer lag (obwohl die Dunkelheit undurchdringlich war, wusste er, dass dies hier sein Schlafzimmer war), legte eine Beteiligung Susannes an der ganzen Geschichte nahe. Oder Bubis. Vielleicht hatten auch beide damit zu tun. Der Grund für diese Entwürdigung musste also mit seiner Familie im Zusammenhang stehen, schlussfolgerte er. Doch was hatte er ih nen angetan, dass sie dies hier mit ihm machten? Susanne war aus eigenem Antrieb zu solch einem Spiel nicht fähig, Faust kannte sie schon viel zu lange, um auch nur einen Augenblick an sie als Initiator zu glauben. Bubi? Nein, auch sein Sohn war nicht der Auslöser dieser Situation.
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