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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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brauchbar.
    Zwei Stunden betrachtete er den Leichnam. Er hielt das Messer in der Hand und das Feuer brannte nieder. Hungrig legte er sich schließlich neben den Körper und schlief ein. Heute Morgen war die Tote steif wie ein Brett.
    Malow schoss in die Luft. Der Angreifer blieb stehen und erkannte offensichtlich erst jetzt, dass er nicht allein war mit diesem überreichen Mahl. Fleisch, so viel Fleisch.
    »Verschwinden Sie!«, sagte Malow und drohte mit der Waffe. Er ging einen Schritt auf den Fremden zu, der wich einen zurück. Sein Blick war wild, sprang hin und her und kam doch immer wieder zu der Mahlzeit zurück. Fleisch, so viel Fleisch. Es würde Tage, sogar Wochen reichen! Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Was hatte er zu verlieren? Nichts. Aber er konnte gewinnen – Fleisch, Leben, Zukunft. Plötzlich stürzte er sich erneut auf den Schwarzen, Malow und dessen Waffe waren ihm egal. Mit hoch erhobenem Arm versuchte er, sein Ziel zu erreichen. Malow schlug ihm mit dem Gewehr gegen den herabsausenden Arm, dem Angreifer fiel das Messer aus der Hand. Es gab ein furchtbares Knirschen, als der Unterarm des Fremden brach. Bevor der wusste was geschah, war Malow bei ihm und stieß ihn zur Seite in den Straßengraben. Blut lief dem Fremden in einem breiten Strom aus der frischen Wunde, die rechte Hand hing wie ein totes Anhängsel herab.
    »Mein Fleisch!«, schrie er. »Gebt mir mein Fleisch, ihr verfluchten Diebe!«
    »Los! Weiter!«, befahl Malow.
    »Bleibt hier!« Und als das nichts nützte: »Bitte. Verlasst mich nicht. Ihr könnt doch das meiste behalten. Gebt mir nur ein kleines Stück, ein Bein vielleicht oder ein Stück vom Hals. Verlasst mich bitte nicht. Ich bin doch euer Freund. Erinnert ihr euch nicht mehr? Damals, als wir noch jung waren und es noch essen und trinken und Strom und Telefone gab – wir waren gemeinsam mit dem Bus unterwegs. Bleibt hier! Verdammt noch mal! Ihr elendes Dreckpack! Ich will mein Fleisch! Ich will leben! Hört ihr, ich will nicht verhungern, ich will L-E-B-E-N! Seid brav, seid liebe Menschen. Bitte, bitte. Nehmt mich mit. Lasst mich nicht allein.« Er weinte und betrachtete seine nutzlose Hand. Malow trieb inzwischen ihren kleinen Tross voran. »Ich verfluche euch! Verrecken sollt ihr! Ich wünsche euch Krankheiten und Unfälle und viele böse Menschen, die euch genauso schlecht behandeln wie ihr mich. Verflucht sollt ihr sein! Ich werde euch melden. Ich zeige euch an, wegen unterlassener Hilfeleistung und wegen Körperverletzung und …« Die Rufe wurden immer leiser. Sie beeilten sich von hier wegzukommen. Hans drückte Larissa an sich. Er konnte noch lange den Fremden im Straßengraben erkennen, dessen unversehrte Faust, die ihnen drohte. Schließlich lag ein Hügel zwischen ihnen und der Mann war verschwunden.
    Sie erreichten den Fläming und am späten Nachmittag ohne weitere besondere Vorkommnisse eine Anhöhe bei Jüterbog. Hier schlugen sie ihr Nachtlager auf. Larissa krabbelte über die Wiese und Ma low spannte mit Silvias Hilfe eine Plane, die sie unterwegs von einem Militärlaster abmontiert hatten, zwischen drei Bäume. Bald knisterte ein kleines Feuer, darüber ein Topf mit drei Handvoll Kartoffeln. Der Schwarze graste und war zufrieden. Nachdem sie gegessen hatten und Larissa an Silvias Brust eingeschla fen war, fragte Hans die anderen, ob einer von ihnen einen Stift dabei habe. Malow schüttelte nur den Kopf, aber Silvia nickte.
    »Hinten in meinem Rucksack.«
    »Auch Papier?«
    Sie stand auf, legte Larissa ins Gras und ging zu ihrem Gepäck, aber außer zwei unbezahlten Rechnungen – sie datierten vom 18. und 22. Mai – fand sie nichts. Sie gab Hans die beiden Blätter und einen Kugelschreiber.
    »Hier. Was willst du aufschreiben, wenn ich fragen darf?«
    »Keine Ahnung. Irgendwas an Lea-Maus, meine Tochter. Vielleicht einen Brief, damit sie weiß, wie sehr sie mir fehlt. Oder so etwas wie ein Reisetagebuch.«
    »Dann kommst du mit dem da«, Malow zeigte auf die Rechnungen, »nicht besonders weit.«
    »Vielleicht sollten wir Dinge aufschreiben, an die sich später niemand mehr erinnert? Damit sie nicht vergessen werden«, schlug Silvia vor. »Geld zum Beispiel.« Sie hatte das Bündel Geldscheine in ih rem Rucksack entdeckt und hielt es in der Hand. Hans nahm es und be trachtete es. Augenblicklich fühlte er sich in seine Kindheit zurück versetzt. Damals hatten er und seine Freunde unter sich eine Art Geheimwährung erfunden, Geld, das nur ihnen

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