Rattentanz
Reiseandenken aus Schweden – ein blutiger Fingerabdruck. Er gab das Bild Silvia. Leas obere Schneidezähne hatten tatsächlich etwas von einer Maus. Einem Mäuschen. Einen winzigen Tick zu groß, sodass, hatte Lea die Lippen geschlossen – was äußerst selten vorkam, erinnerte sich Hans –, doch meist das Weiß dieser beiden Zähne zu sehen war. Nannten er und Eva sie deshalb Maus, wegen dieser Zähne? Hans versuchte sich an den Tag zu erinnern, an dem er sie das erste Mal so genannt hatte und konnte es nicht. Aber mit Sicherheit hatten sie sie bereits Mäuschen genannt, als ihr Lachen noch zahnlos und unbeschwert war.
»Vielleicht sind die Zähne so gewachsen, wie sie gewachsen sind, weil wir unsere Tochter immer nur Maus und Mäuschen nannten.«
Hans betrachtete das Bild. Ging es den beiden gut? Konnten sie noch lachen?
»Sei froh, dass du die Kleine nicht Schweinchen oder Rattenfürzchen oder Würmchen genannt hast. Bei dem Einfluss, den deine Worte offensichtlich auf ihr Wachstum hatten!«
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14:11 Uhr, Grenzgebiet zwischen Brasilien und Kolumbien
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In den frühen Morgenstunden, kurz vor Sonnenaufgang, hatte sie ihm ihr viertes Kind geboren. Der das Dorf umgebende Regenwald hatte die Rückkehr des Lichtes begrüßt, sein Kind begrüßt. Es war eine Tochter, endlich. Seit drei Jahren, seit ihrer ersten Schwangerschaft, hatte er darauf gewartet.
Er prüfte seinen Köcher, Pfeile und den Bogen, dann verstaute er alles. Heute war ein guter Tag, sie würden genügend Wild erlegen und vielleicht sogar etwas Honig finden. Wenn die Geister des Waldes mit ihnen waren.
Er gehörte zum Volk der Maku, der wilden Maku, wie sie auch genannt wurden. Im Gegensatz zu den anderen, die mit dem weißen Mann Handel trieben, hatten sie sich tief in den Urwald zurückgezogen und gingen allen Fremden aus dem Weg. Hier irgendwo verlief die von den Eroberern gezogene Grenze zwischen Brasilien und Kolum-bien, eine Grenze, die keinen seines Stammes interessierte. Flüsse bildeten Grenzen, der Waldrand vielleicht, mehr nicht. Er blinzelte zu seiner Frau hinüber, die, das Baby an der Brust, in ihrer Hängematte lag und döste. Sie musste erschöpft sein. Hoffentlich würde der Wald genug Nahrung hergeben, genug Kraft, um die Kleine am Leben zu erhalten. Die letzten beiden Kinder waren nach we nigen Tagen gestorben. Aber sie würde es schaffen, sie hatte die Kraft ihrer Mutter in der Stimme.
Heute war ein guter Tag. Und, bis auf die Geburt seiner Tochter, war es ein Tag wie jeder andere, ein Tag wie die vielen schon vergangenen Tage, ein Tag wie die ungewisse Anzahl derer, die hoffentlich noch auf ihn und seine Familie warteten. Ein weiterer glücklicher Tag, den die Götter ihm geschenkt hatten.
Drittes Buch
– DAS ZIEL? –
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Der Begriff Ziel bezeichnet einen in der Zukunft liegenden, gegenüber dem Gegenwärtigen im Allgemeinen veränderten, erstrebenswerten und angestrebten Zustand (Zielvorgabe). Ein Ziel ist somit ein definierter und angestrebter Endpunkt eines Prozesses, meist einer menschlichen Handlung. Mit dem Ziel ist häufig der Erfolg eines Projekts bzw. einer mehr oder weniger aufwendigen Arbeit markiert.
(Quelle: Wikipedia)
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18. Juni, 08:33 Uhr, Wellendingen
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»Sie haben auch noch nichts von Christoph gehört?« Roland Basler verließ Hildegund Teufels Haus und wäre an der Tür fast mit Eckard Assauer zusammengestoßen.
»Nein«, antwortete der. Er versuchte sich an Basler vorbeizuschieben, aber der verstellte ihm den Weg.
»Sie wissen etwas«, sagte Basler. Er kniff die Lippen zusammen und betrachtete aus schmalen Augenschlitzen heraus den Weißhaarigen. Christoph Eisele war jetzt bereits den sechsten Tag verschwunden und keiner wusste, wohin. Oder wollte es wissen. Seine Eltern nicht, niemand im Rat (Pah, welcher Rat?). Und Assauer, mit dem Eisele vor seinem Verschwinden mehr und mehr Zeit verbracht hatte, machte sich ganz offensichtlich weder Sorgen noch beteiligte er sich am allgemeinen Wettbewerb um Gründe und Erklärungen für das plötzliche Verschwinden des jungen Mannes. Assauer, und das brachte Basler an den Rand der Explosion, spielte den Weisen, der die Dinge laufen ließ.
»Ich weiß soviel wie Sie. Eher weniger.« Aber Basler ließ ihn noch immer nicht in das alte Bauernhaus.
»Ich bin mir sicher, Sie beide hecken etwas aus! Können Sie sich noch an Ihren Besuch bei mir erinnern, nach unserer Sitzung? Eiseles Verschwinden hat etwas damit zu tun, ich hab’s im Urin. Wenn Sie
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