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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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gebrochen hatte, Larissa lag auf seinem Bauch und schlief. Von Silvia keine Spur. Malow band seine Beute an einen Baum und rutschte zu Hans in die Grube.
    »Geschafft!« Malow warf die Seile neben Hans auf den Boden, dann nahm er eine der mit klarem Wasser gefüllten Plastikflaschen, die Silvia jeden Morgen neu füllte, und trank. Den Rest schüttete er sich über den Kopf und lachte dabei.
    »Heute Abend schlafen wir dort oben«, sagte er. Er setzte sich neben Seger und zeigte die bisher unüberwindliche Abbruchkante hinauf. Dann erzählte er von seinem Raubzug.
    Hans Seger streichelte den Kopf der Kleinen. Das Kind atmete tief und bekam von den Problemen der Großen nichts mit. Hans spürte ihren Atem. Dankbar lächelte er Malow an. Sein einziges Verlangen −
    endlich wieder bei Eva und Lea zu sein − war durch diesen Mann plötz lich wieder greifbar. Sicher, es gab noch unzählige Gefahren zwischen hier und Wellendingen, aber mit dem Pferd und den Seilen auch wieder Hoffnung.
    »Aber glaub jetzt bloß nicht«, wiegelte Malow Hans’ Dankbarkeit ab, »ich hätte das für dich getan. Ich will endlich weiter, das ist der einzige Grund, sonst nichts.«
    Silvia erschien kurz darauf. Sie hatte die Gegend abgesucht und ein paar frühe Pilze, die keiner von ihnen kannte und die sie wegwarfen, eine Tüte Sauerampfer und, aus dem Gepäck eines in der Nacht verhungerten Reisenden, ein dickes Bündel Geldscheine gefunden.
    »Damit kannst du deiner Kleinen den Arsch abputzen«, sagte Ma low. Er blätterte die Scheine durch, dann warf er sie achtlos über die Schulter. Silvia hob sie auf. »Was willst du mit dem Geld?«, fragte Malow. Er stand auf, nahm die beiden Seile und verknotete sie miteinander. »Glaubst du, es wird wieder eine Zeit des Geldes geben?«
    Silvia schüttelte den Staub aus den Scheinen und steckte sie in ihre Tasche. Sie hatte eigentlich keine andere Reaktion dieses Mannes erwar tet. Wie sollte er, der sie hasste und − zu Recht, wie sie eingestand − für Hans’ Zustand verantwortlich machte, die Überwindung verstehen, die es sie gekostet hatte, die Leiche und deren Sachen nach Brauch barem zu untersuchen?
    »Wenn irgendjemand diesen ganzen Müll überlebt, wird es sehr, sehr lange dauern, bis Papiergeld die künftige Tauschgesellschaft wieder ablöst. Kannst deiner Kleinen Papierflieger daraus basteln, zu mehr taugt es nicht.« Er band das eine Ende des Seiles an eine lose herumliegende Autotür.
    »Was hast du vor?«, fragte Hans.
    »Ich bau dir einen Schlitten«, sagte Malow. »Ich binde dich auf die Tür und die wird von dem Pferd ganz langsam nach oben gezogen.«
    Und so machten sie es. Nachdem Hans sicher auf der Autotür lag, kletterte Malow mit dem anderen Ende des Seiles nach oben, knotete eine Schlinge und legte sie dem Tier um den Hals.
    »Alles klar bei dir?« Hans nickte.
    »Von mir aus kann es losgehen.«
    Silvia hatte sein gebrochenes Bein zum Schutz in mehrere Decken gewickelt und es nach allen Seiten gut abgepolstert, nur für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte, erklärte sie. Aber Malows Plan funktionierte tadellos. Von Malow angetrieben, zog der stämmige Schwarze Hans Seger ohne große Anstrengung auf seinem Schlitten aus dessen Gefängnis. Hans spürte, wie er Stück für Stück aus seinem Grab gezogen wurde. Silvia kletterte nebenher und hob zweimal, als die Tür sich an einem Stein verhakte, den Schlitten mit einem Knüppel etwas an.
    Hans konnte den Schrotthaufen sehen, der den Ausgang versperrte. Alles wurde kleiner und kleiner und dann kippte der Schlitten plötzlich nach hinten und Hans Seger war endlich frei. Die tief stehende Sonne blendete ihn.
    Hans Seger, Silvia und ihre Tochter sowie Henning Malow verließen am Morgen des 16. Juni den Schrottplatz. Es war ein Samstag.
    »Vermutlich gibt es drei Sorten Menschen heutzutage. Na, um ehrlich zu sein, inzwischen nur noch zwei«, sagte Malow. Er ging neben Hans Seger, der auf einer Art zweirädrigem Anhänger von dem kleinen schwarzen Wallach gezogen wurde. Malow hatte zwei fünf Meter lange, schlanke Baumstämme, die am Rande eines Holzschlages gelegen hatten, oben mit dem Seil, unten mit der Autotür verbunden. Eine ähnliche Konstruktion hatte er in alten Indianerfilmen gesehen. Von einem im Wald gefundenen Kinderwagen nahm er zwei Räder und schon lag eine halbwegs bequeme Reisemöglichkeit für den Verletzten vor ihnen. Hans ging es mittlerweile von Tag zu Tag besser. Der Knochen schien gut zu verheilen und er

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