Rattentanz
eingeweiht sind, haben Sie die verdammte Pflicht, mich zu informieren! Ich werde nicht zulassen, dass irgendwer im Ort hinter meinem Rücken ein doppeltes Spiel treibt!«
»Hinter Ihrem Rücken«, wiederholte Assauer. »So, so. Wenn es also nicht hinter Ihrem Rücken wäre, würden Sie ein doppeltes Spiel zulassen?«
»Hören Sie auf mit Ihrer Wortklauberei«, schrie Basler. Über ihm wurde ein Fenster geöffnet. Evas Gesicht erschien. Sie räusperte sich und als Basler und Assauer zu ihr aufsahen legte sie den Zeigefinger auf die Lippen.
»Wenn ich herausfinde, dass Sie etwas mit Eiseles Verschwinden zu tun haben und mich nicht informierten, können Sie hier Ihre Zelte abbrechen. Noch bin ich hier Bürgermeister!«
»Hören Sie endlich auf.« Assauer schob Basler jetzt einfach zur Sei te. »Sie sollten sich schämen, in diesem Moment nur an sich und Ihr gekränktes Selbstwertgefühl zu denken. Es gibt heute Wichtigeres als Sie und Ihre Allüren.« Damit ging er ins Haus und ließ Basler wie ei nen begossenen Pudel auf der Straße zurück. Assauer ging nach oben in Hildegund Teufels Schlafzimmer. Seit den letzten Tagen waren er, Eva und Thomas täglich für ein paar Stunden bei ihr. Auch Susanne Faust war zwei Mal gekommen, aber Frieder Fausts Zustand verhinderte, dass sie länger bleiben konnte. Eva hatte eine Lungenentzündung diagnostiziert, für die Siebenundachtzigjährige das sichere Todesurteil. Sie war heute, in den frühen Morgenstunden des 18. Juni, friedlich in ihrem Bett gestorben. Ihr Tod läutete einen Tag ein, an dem sich in Wellendingen die Ereignisse überschlagen sollten. Assauer trat in den niedrigen Raum. Es roch nach Krankheit. Um das Bett herum standen Susanne, Bea Baumgärtner und Eugen Nussberger sowie Berthold Winterhalder und seine Frau Edeltraud. Winterhalders wollten gerade gehen. Hinter der Tür, an die Wand gepresst, verharrte Thomas Bachmann. In der einen Hand hielt er einen Strauß Ringelblumen, im anderen Arm seine schwarze Aktentasche. Eva hatte die Nacht bei der Sterbenden verbracht. Jetzt saß sie an Hildegund Teufels Bett und streichelte die langsam kälter werdende knochige Hand der Alten. Sie hatte wie immer das Fenster einen kleinen Spalt geöffnet und der freien Seele den Weg gezeigt, anschließend die Frau gewaschen und ihr die Lider geschlossen. Sie wusste inzwischen selbst nicht mehr, wie vielen Menschen sie nun schon beim Sterben zugese hen hatte. Mit wem hatte es begonnen? Aleksandr Glück? Joachim Beck? Hildegund Teufel war der vorläufige Schlusspunkt. Der Krone-Wirt und seine Frau gingen und verabschiedeten sich mit einem Kopfnicken, Eugen Nussberger schloss sich ihnen an. Auch Susanne drängte hinaus. Schließlich waren Assauer, Eva und Thomas Bachmann, der weiter steif auf seinem Platz stand und die Tote betrachtete, allein mit Hildegund Teufel. Eva faltete der Alten die Hände. Dann ging sie zu Thomas und nahm ihm eine einzelne Ringelblume aus der Hand und legte sie der Toten auf die Brust.
»Ich bin müde«, sagte sie. »Hier gibt es für mich nichts mehr zu tun.« Sie legte beide Hände auf ihren Bauch. Dessen leichte Wölbung war inzwischen schon sichtbar, aber noch wusste keiner außer ihr von Evas Schwangerschaft.
»Hat Basler gesagt, wer sich um ihre Bestattung kümmert?«
Eva schüttelte den Kopf. »Nur, dass jetzt schon wieder ein neues Rats mitglied gewählt werden müsste.« Sie klang traurig. »Komm, Tho mas. Lea und deine Kühe warten.«
Thomas Bachmann aber rührte sich nicht. Er betrachtete weiter nur die Leiche und lauschte in sich hinein.
»Thomas. Komm!« Eva wollte seine Hand nehmen, aber Thomas ging zum Bett und kniete daneben nieder.
»Darf ich noch bleiben? Bitte, nur fünf Minuten.«
»Natürlich.« Eva legte ihm die Hand auf die Schulter, dann ging sie zur Tür, Assauer folgte ihr nach einem kurzen Gebet.
»Er hing an der Alten«, sagte Assauer, als sie auf der Straße standen.
»Thomas hat sie verehrt, seit er hier im Ort ist. Manchmal dachte ich, die alte Frau war das Zuhause, das er wohl immer gesucht hat. Und nun auch wieder suchen muss.« Sie warf einen Blick hinauf zu dem Fenster, hinter dem sie Thomas Bachmann wusste. »Seit seinem ersten Besuch bei ihr ist er viel ausgeglichener, man hätte ihn fast normal nennen können. Die Frau und meine Kleine … war er nicht bei der einen, dann aber ganz bestimmt bei der anderen. Hildegund Teufel hatte ihm ein paar junge Melissepflanzen geschenkt, die er hinter dem Pfarrhaus
Weitere Kostenlose Bücher