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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Löcher hineinätzen?
    Hör auf!, grummelte Nummer eins, eher amüsiert denn böse.
    Aber für Thomas verband sich seither, wenn er Nummer zwei schimpfen und abwägen hörte, ihre Stimme mit dem unangenehmen Gefühl dieses Abends. Sie hatte ihn erwischt, auf frischer Tat ertappt. Und es hatte Jahre gedauert, bis er keine Angst mehr vorm Erblinden hatte. Davon kann man blind werden, blind wie ein Maulwurf! Warum waren Maulwürfe blind?
    Es war nie wieder passiert. Aus Angst vorm Erblinden und weil er seine alten Medikamente irgendwann wieder nehmen musste. Und diese Medikamente vertrieben zielgerichtet jedes angenehme Kitzeln aus seinem Körper. Vielleicht waren sie auch nur deshalb da.

16
    15:44 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Intensivstation
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    Was ihm zu schaffen machte, war weniger, wie der Tote sich anfühlte als das Wissen, dass es ein Toter war. Obwohl – als er darüber nachzudenken begann …
    Unter dem Bettlaken, mit dem Eva die Leiche und Beck abgedeckt hatte, verschwammen die Geräusche der Station. Das Zischen der Beatmungsmaschinen, die Sauerstoff in kranke Lungen pressten, piepsen de Geräte und Pumpen, dazwischen das Stöhnen von Verletzten sowie Stillers Anordnungen, die er Augenblicke später revidierte, waberten durcheinander. Einzig Ritters Stimme war laut und deutlich zu vernehmen.
    »Wo ist dieser Stiller, verdammt noch mal!«
    Beck, etwa einen Kopf kleiner als der hochgewachsene, hagere Tote neben ihm, lag mit dem Kopf halb unter dessen Schulter. Seinen Rücken drückte er gegen ihn, die Beine hielt er leicht angewinkelt und unter den verstorbenen Beinen versteckt. Für einen Unwissenden war von außen nichts Auffälliges zu entdecken; da lag nur ein stattlicher Herr, soeben verschieden, und wartete auf seinen Abtransport, wohin auch immer.
    Der Beckenkamm der Leiche drückte in Becks Rücken. Genau ge gen die Wirbelsäule. Und unter seinem Arm roch es nach bitterem, kaltem Schweiß, den er im Sterben noch versprüht haben musste. Der Mann, der den herrlichen Maimorgen hatte nutzen wollen und mit sei ner Frau zu einer Fahrt nach Schaffhausen an den Rheinfall aufgebrochen war, wurde zufällig fast unmittelbar vor den Toren der Klinik Opfer eines Handynutzers, der, einen Moment abgelenkt, die bestehenden Vorfahrtsregeln missachtete und in den ältlichen Ford des Rentnerehepaares krachte. Die Frau war sofort tot (»Der Gurt schnürt mich immer so ein. Ich bekomme da drin keine Luft, Liebling. Ich lass ihn heute mal weg.«). Er wurde vom Unfallverursacher in die Klinik getragen und einem Arzt übergeben. Der Unfallverursacher hatte dem Unfallopfer seine eigene Jacke um den Bauch gewickelt und so die hervorquellenden Därme bis zur Notaufnahme zurückhalten können. Und sich erbrochen.
    »Stiller!«
    »Ja, was ist denn los?« Der Stress ließ Dr. Stiller blass und kränklich aussehen. Seine Augen standen weit hervor. Mit wedelnden Armen stand er auf dem Flur. Gollum! Er strich sich mit seiner in einem Gummihandschuh steckenden Rechten die dünnen Haare aus der Stirn.
    »Brüllen Sie hier so rum?« Wie ein wütender Terrier kläffte er Ritter und seine Kumpane an. »Was wollen Sie?«
    »Wo ist der Polizist?« Ritter kam ohne Umschweife zur Sache. Er sah Stiller an, kalte Herausforderung blitzte in seinen Augen. Er wartete auf Stillers Antwort, aber er würde bestimmt nicht lange warten.
    »Was für ein Polizist? Hier war keiner, hier ist keiner und«, er mach te auf den Absätzen kehrt, »es wird sicher auch keiner kommen! Leider.«
    »Halt!«, brüllte Ritter. Mario und Mehmet schnitten Stiller den Weg ab und bauten sich vor ihm auf. Mehmet hielt seine P7 deutlich sichtbar. »Entweder, du sagst mir jetzt, was ich wissen will, oder ich mach Kleinholz aus dir! Wäre dir das recht, he?«
    Stiller starrte in die Waffe. Er hatte noch niemals zuvor eine Pistole gesehen, außer im Fernsehen. War die echt? Waren die Männer echt? Einen kurzen Moment dachte er an einen Streich und eine versteckte Kamera, aber dann überzeugten ihn die Augen der Männer von der Wahrheit. Er war kein Mann, der für Ideale, geschweige denn für andere Menschen, seine Gesundheit riskieren wollte. Der Gedanke an Widerstand kam ihm nicht einmal. Er überlegte nur, wo der Gesuchte hin sein konnte. Er wollte alles sagen.
    Angesichts der drohenden Übermacht stand Stiller mit hängenden Schultern und unterwürfigem Blick zwischen den Männern. Der kläffende Terrier zog den Schwanz ein und winselte: »Aber Sie können mir

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