Rattentanz
nichts. »Frieder, ich weiß nicht warum, aber die Leute hören auf dich! Du hattest die Idee mit dem Treffen und du hast da unten nicht schlecht gebrüllt und so etwas wie Ruhe ausgestrahlt. Sicher, es gibt bestimmt Männer im Dorf, die den Überblick bewahren könnten und in der Lage wären, so lange es eben nötig sein wird, hier eine Art Bürgermeister zu mimen. Aber vorhin waren sie alle erstaunlich still. Du bist eben einer von ihnen, sie kennen dich und irgendwie«, er lächelte, »haben sie sich offenbar stillschweigend darauf geeinigt, dass du derjenige bist, den man fragt, wenn es nicht weitergeht. Mich übrigens eingeschlossen.«
20
19:51 Uhr, Wellendingen, Hardt
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Frieder Faust wusste, dass er alles andere als ein Führer war. Meinte es zu wissen. Er warf einen weiteren Kronkorken aus dem Fenster seines Pick-ups und sah zu, wie Uwe Sigg stolz mit dem Bagger von Wünsches Baustelle den asphaltierten Feldweg zum Hardt hinauftuckerte und dort begann, zwischen den Trümmern des Airbusses eine Grube auszuheben.
Faust hatte nicht lange mit Sven Wünsche diskutieren müssen. Die Übermacht der Männer – neben Faust, Mettmüller und Eisele waren noch Uwe Sigg und drei andere bei Wünsche aufgekreuzt – hatte diesen schnell davon überzeugt, dass seine Baugrube auch noch einen wei teren Tag Verzug vertragen konnte. »Und solltest du Langeweile haben«, hatte Faust ihm zugerufen, »Christoph kann bestimmt noch Helfer gebrauchen.« Mettmüller hatte ihm daraufhin mit dem Ellenbogen in die Seite gestoßen und gesagt, dass vielleicht genau dies der Grund sei, warum die Leute im Dorf ihn, Faust, riefen und nicht irgendeinen anderen.
Er hatte im Pick-up das Radio eingeschaltet und den automatischen Sendersuchlauf betätigt. Nachdem alle Frequenzen fünfmal durchgelaufen waren, ohne dass aus den vier Lautsprechern etwas anderes als sphärisches Rauschen gekommen wäre, legte er eine CD ein. Und schaltete dann wieder ab.
Wie fleißige Ameisen liefen Menschen über die Absturzstelle und trugen etwas zusammen; er wusste, was es war. Frauen sammelten Gepäckstücke ein und stapelten sie auf einem Haufen. Man wollte sie unten im Ort in der Grundschule lagern, bis jemand käme, um sie für die Hinterbliebenen abzuholen. Aber im Augenblick musste man sie erst einmal vor Plünderern schützen, die bereits zwischen den Trümmern nach Brauchbarem suchten. Die Männer sammelten die Toten ein. Über Bonndorf stieg eine dunkle Rauchwolke auf, ebenso zwischen Buchberg und Eichberg, ganz am Horizont, dort wo Blumberg lag.
Er kam mit den Veränderungen, die dieser Tag in so rasendem Tempo gebracht hatte, nicht zurecht. Alles brach weg. Wichtiges war plötzlich unwichtig, wie das brennende Schloss in Bonndorf, und Unwichtiges wichtig, wie Albickers Kühe.
Faust sehnte sich nach seiner Baustelle, nach einem Dachstuhl, an dem er arbeiten durfte. Er wollte Holz zusammenfügen, wollte tun, was die vergangenen dreißig Jahre sein Job war, wollte einfach nur Frieder Faust sein: Prügelknabe als Kind, respektiert als Erwachsener. Und sonst nichts!
Bisher waren doch auch alle ohne ihn zurechtgekommen! Wieso also dann ausgerechnet er, wieso jetzt?
Er hatte nie etwas auf die Meinung oder gar auf die Bewunderung anderer gegeben. Ihm reichte, dass sie ihn akzeptierten und anerkennend auf die Schulter klopften, wenn seine Arbeit gut war. Mehr wollte er nie; keine Öffentlichkeit, keine Vereine, keine Politik – nur seine Ruhe, die war ihm wichtig. Und ein Bier.
Vor ihm lag Wellendingen, durchflossen vom Ehrenbach, an dem er als Kind Staudämme gebaut hatte und Wasserräder rattern ließ. Er war in Wellendingen geboren, im Schlafzimmer über dem Stall seines Elternhauses, an dessen Stelle er später das eigene Haus errichtete.
Obwohl die Sonne noch eine Stunde bis zu ihrem Untergang hatte, wurden die Schatten der einzelnen Tannen am gegenüberliegenden Hang bereits merklich länger. Von dort ging es hinab ins Steinatal und dahinter dehnten sich die Bergkuppen des Schwarzwaldes – dunkel und geheimnisvoll, schützend. Das hier, wurde ihm bewusst, war sein Zuhause. Das war Heimat.
21
19:54 Uhr, Kernkraftwerk Civaux, Frankreich
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Block zwei des französischen Kernkraftwerkes Civaux explodierte kurz vor acht. Die radioaktive Wolke trieb am Abend über das gleichnamige Städtchen und seine noch neunhundert Einwohner.
22
20:04 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Klinikküche
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Hermann Fuchs und Daniel Ritter saßen in der
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