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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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ho len würde, war nichts von ihr zu sehen.
    Die drogenabhängige Frau saß derweil mit zerstochenen Unterarmen hinter dem Tresen, an dem an normalen Tagen eine freundliche Empfangsdame Auskünfte gab. Sie hatte sich unter der Holzplatte versteckt, zwischen Kabeln und Leitungen, einem Papierkorb und einer Handtasche. In der Handtasche erkannte sie eine angebrochene Colaflasche und eine Packung Tampons.
    »Die ist weg, die Schlampe!«, fluchte Alex, als sein Bruder die Treppe heruntergekommen war. Der hielt sich die Hand vors Gesicht.
    »Ist es schlimm?«
    »Geht schon. Blutet nur ein bisschen.« Die Stuhllehne hatte ihn hauptsächlich an Wange und Oberlippe getroffen, die Hauptwirkung des Schlages hatte sein rechter Arm, den er nach oben gerissen hatte, als er den Stuhl kommen sah, abgehalten. Aus der aufgeplatzten Oberlippe troff Blut.
    »Wenn ich die erwische, wird sie sich wünschen, nie geboren worden zu sein!«
    Die Frau hinter dem Tresen machte sich noch kleiner.
    »Die ist bestimmt in die Stadt runter.« Alex kratzt sich am Kopf und musste einen Moment nachdenken.
    »Komm, hinterher! Der Wagen steht doch noch draußen!« Mario war schon auf dem Weg zur Tür, als ihn sein Bruder zurückhielt.
    »Lieber nicht. Ritter wartet bestimmt schon!«
    »Was geht uns dieser Ritter an, he?« Mario betrachtete das Blut in seiner Hand. Zorn stieg in ihm auf. »Bloß weil der einen Bullen abgeknallt hat, hat er uns noch lange nichts zu sagen!« Mario trat wütend gegen den Tresen und traf mit der Faust einen Flachbildmonitor. Das Gerät schwankte einen Augenblick auf seinem schmalen Fuß, bevor es sich für einen geräuschvollen Abgang entschied und neben der Drogensüchtigen auf den Boden fiel.
    »Ja schon, aber …«
    »Was aber? He, Großer, wir kennen doch den Typen erst seit heute Morgen! Und hast du gesehen, wie kalt der den Bullen umgenietet hat?« Alex wurde nachdenklich. Er hatte toll gefunden, wie Ritter mit der Maschinenpistole in der Hand aus dem Polizeirevier getreten war und den Bullen auf die Stufen warf. War besser als jeder Bruce-Willis-Kracher! »Und der Türke, der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Rennt mit seinem Pferdeschwanz rum wie ’ne Tunte. Und der Blick von dem!« Mario schüttelte sich. »Wenn wir ohne Schmerztabletten zurückkommen, was meinst du, was die mit uns machen? He? So, wie die drauf sind!«
    Mario hatte seinen älteren Bruder fast überzeugt.
    »Weißt du, was wir machen? Wir verschwinden mit den Waffen und drehen auf eigene Faust ein Ding! Irgend ’ne Bank oder so! Oder wir fah ren rüber nach Villingen und schauen uns dort ein bisschen um. Los Bruder«, er boxte Alex gegen die Brust und tänzelte mit erhobenen Fäusten, wie Henry Maske in seinen besten Zeiten, um seinen Bruder herum. »Los, du und ich mit den Knarren und dem Auto – das ist es!«
    Nachdem die Brüder mit quietschenden Reifen abgehauen waren, blieb die Frau unter dem Tresen noch lange in ihrem Versteck.
    »Scheiße Mann, wo bleiben die Wichser?!« Ritter schleuderte einen weiteren Teller Richtung Eingangstür. Über eine halbe Stunde war inzwischen vergangen, ohne dass die Brüder aus der Ambulanz zurückgekehrt wären. Und er hatte Schmerzen!!!
    »Soll ich mal nachsehen?«, bot sich Fuchs an.
    »Ach was, die sind sicher abgehauen.« Ritter lockerte den Verband, denn der saß inzwischen so fest, dass er drohte, das Bein abzuschnüren. Das Bein hatte in den letzten Stunden deutlich an Umfang zugelegt und in der Wunde klopfte es wie ein im Keller eingesperrtes Kind, das gegen die Tür hämmert. »Die feigen Säcke sind über alle Berge, sonst wären sie längst zurück.«
    In der Küche stand Mehmet mit gezogener Pistole lässig an die Wand gelehnt und beobachtete, wie der Koch die gewünschte Erdbeercreme zubereitete. Der Koch zitterte. Er hatte Todesangst. Warum war er nicht mit seinen Kollegen gegangen? Warum dieses verfluchte Pflichtbewusstsein? Wozu?
    Ohne ein Wort zu sagen musterte Mehmet den Mann, beobachte te, wie der in einer Mikrowelle tiefgefrorene Erdbeeren auftaute, Sah ne schlug und Zucker unterrührte. Schon nach den ersten Handgriffen wusste Mehmet, dass er den schwitzenden Koch würde töten müssen, denn was der da zubereitete, hatte mit der Erdbeercreme seiner Mutter so viel zu tun wie ein Pekinese mit einem Wolf. Geistesabwesend streichelten Mehmets Finger die Waffe. Sie fühlte sich gut an, machtvoll und ehrlich. Seit seinen Schüssen in die Leiche auf der Intensivstation war er wie

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