Rau ist die See ...
endete das Videotagebuch.
Jade war geschockt. Offenbar hatte Ann es nicht geschafft, mit dem Kapitän zu sprechen. Sie war daran gehindert worden. Ob sie überhaupt noch lebte?
5. KAPITEL
Jade wusste nicht, was sie tun sollte. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. War der Mörder noch an Bord? Wer war der Komplize, der umgebracht worden war? Ein Passagier konnte es nicht gewesen sein, dessen Fehlen wäre in jedem Fall bemerkt worden … Aber ein Besatzungsmitglied kam genauso wenig infrage. Jemand von der Crew konnte doch auch nicht einfach unbemerkt verschwinden, dafür war Ann der beste Beweis.
Wer war von dem Verbrecher über die Reling geworfen worden?
Jade atmete tief durch. Sie konnte ihr Wissen nicht länger für sich behalten. Das war nicht zu verantworten. Sie nahm die Videokamera fest in beide Hände und verließ ihre Kabine.
Sie fand problemlos zur Kommandobrücke. Dort sah sie Jones. Er blickte durch sein Fernglas zum Horizont. Als Jade sich ihm näherte, ließ er den Feldstecher sinken. Er nickte ihr zwar zu, versperrte ihr jedoch den Zutritt zum eigentlichen Brückendeck. „Was gibt es, Miss Walker?“
„Ich muss sofort mit dem Kapitän sprechen, Mr. Jones. Ist er auf der Brücke?“
„Ja, er ist auf dem Peildeck und berechnet unseren Kurs neu. Eine Unwetterfront zieht herauf. Wir müssen ihr aus Sicherheitsgründen ausweichen.“
„Hören Sie, es ist wirklich sehr wichtig.“
„Es tut mir leid, Miss Walker, aber der Kapitän darf jetzt auf keinen Fall gestört werden. In den nächsten Stunden ist die gesamte Besatzung mit vollem Einsatz gefordert. Bitte behalten Sie die Nachricht von dem heraufziehenden Sturm einstweilen für sich. Wir möchten Unruhe unter den Passagieren vermeiden.“
„Ja, natürlich“, murmelte Jade enttäuscht. Sie hatte nicht erwartet, derart abgewiesen zu werden. Andererseits arbeitete sie zum ersten Mal auf einem Schiff. Sie wusste nicht, was in einer solchen Lage üblich war.
Jones schenkte ihr ein angedeutetes, aber aufmunterndes Lächeln. „Morgen früh ist vielleicht schon das Schlimmste überstanden, Miss Walker. Vielleicht schaffen wir es sogar, unseren Zeitplan einzuhalten. Dann hat der Kapitän bestimmt Zeit für Sie.“
Für einen Moment dachte Jade daran, sich Jones anzuvertrauen. Er war schließlich der zweitwichtigste Mann an Bord. Wenn der Kapitän krank wurde oder gar starb, übernahm der erste Offizier das Kommando. Doch sie entschied sich dagegen, als sie sah, dass Jones wieder angestrengt durch seinen Feldstecher blickte. Offenbar war die Besatzung momentan so gefordert, dass sie sich mit keinem Bericht über ein Verbrechen beschäftigen konnten.
Jade bedankte sich und verließ die Kommandobrücke.
Je näher sie ihrer Kabine kam, desto größer wurden ihre Zweifel. Es gab keinen Beweis für einen Mord, nicht einmal einen Hinweis – außer Anns Aufzeichnung. War es wirklich so clever, dem Kapitän die Videokamera zu übergeben?
Jade wollte das später entscheiden und legte die Kamera wieder in ihre Reisetasche. Inzwischen war es auch schon Zeit für den Karaoke-Wettbewerb.
Jade schaffte es, während der Show fröhlich zu wirken und niemanden ahnen zu lassen, mit was für Gedanken sie sich trug. Meistens gelang es ihr, ihre privaten Sorgen während der Arbeit auszublenden. An diesem Abend fiel es ihr schwer. Bein dem witzigen Playback-Event hatten Teilnehmer und Zuschauer sichtlich viel Spaß – Jade nicht. Doch sie war froh, weil Roxanne der Karaoke-Show fernblieb. Wenigstens blieben Jade dadurch weitere Schwierigkeiten erspart.
Es war schon schlimm genug, dass sie ihr Wissen über den Mord mit niemandem teilen konnte. Außerdem musste sie sich bald entscheiden, ob sie Peter die Kleidung geben wollte, die sie für ihn besorgt hatte.
Was, wenn er in das Verbrechen verwickelt war?
Natürlich hatte Ann ihn lange nach dem Mord auf das Schiff klettern sehen. Aber woher wusste sie, dass er nicht schon zuvor auf der MS Kyrene gewesen war? Wenn sie auf ihren Instinkt hörte, traute sie ihm keinen Mord oder ein anderes schweres Verbrechen zu. Doch inzwischen fragte Jade sich ernsthaft, ob sie sich auf ihre Menschenkenntnis wirklich verlassen konnte.
Mehrere Karaoke-Sänger waren aufgetreten, als Jade zu einer Entscheidung gelangt war. Sie wollte Peter konfrontieren. Er musste mit seiner Geheimniskrämerei aufhören und ihr von der „schmutzigen Geschichte“ erzählen, wegen der er angeblich an Bord war. Danach konnte sie immer noch mit
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