Rau ist die See ...
dem Kapitän über ihn sprechen.
Es war schon fast Mitternacht. Jade half den Servicekräften noch beim Aufräumen in der Disco. Das gehörte eigentlich nicht zu ihren Aufgaben, aber Jade hatte die Erfahrung gemacht, dass man sich durch beherztes Zupacken mehr Freunde schuf als durch hochnäsiges Getue.
Nachdem sie sich von den Kollegen verabschiedet hatte, eilte sie zu ihrer Kabine. Jade schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich auf das Date mit Peter freute. Und trotz allem, sie konnte einfach nicht glauben, dass er ein Mörder sein sollte. Auch wenn er sich illegal an Bord geschlichen hatte, kam das keiner kalten Gewalt gleich. Außerdem hatte er behauptet, im Namen der Gerechtigkeit zu handeln …
Jade wollte ihm gern glauben. Doch auf dem Weg zum Achterdeck wurde ihr wieder mulmig zumute. Ihr war mit einem Mal allzu bewusst, dass sich unter Umständen immer noch ein Mörder an Bord aufhielt. Es gab keinen Beweis dafür, dass er die MS Kyrene bereits wieder verlassen hatte.
Und das Rätsel um Anns Verschwinden war nach wie vor ungelöst.
Jade näherte sich dem Achterdeck. Zum Glück war es gut beleuchtet, wie alle Teile des Schiffs, die den Passagieren zugänglich waren. Trotzdem können überall Gefahren lauern, rief Jade sich ins Gedächtnis. Sie hielt die Plastiktüte mit den Kleidungsstücken für Peter fest an sich gedrückt.
Es wehte eine kühle Brise. Jade fröstelte, obwohl sie ein Fleece-Shirt über ihr Crew-T-Shirt gezogen hatte. Vor der norwegischen Küste ließ der Frühling noch auf sich warten. Der zunehmende Mond hing tief über der bewegten See.
Bisher war noch keine Menschenseele zu sehen. Offenbar hatte keiner der Passagiere Lust zu einem Mitternachtsspaziergang auf dem Achterdeck. Jade fragte sich bereits, ob Peter einen schlechten Scherz gemacht hatte und sich jetzt irgendwo lachend in einer Ecke krümmte – da sah sie eine große Gestalt auf sich zukommen.
Im ersten Moment zuckte Jade erschrocken zusammen. Aber dann erkannte sie, dass es Peter war. Erleichtert atmete sie auf.
Sie streckte ihm die Tragetasche entgegen. „Hier, deine Klamotten. Ich hoffe, ich habe deinen Geschmack getroffen.“
„Super, vielen Dank. Hat das Geld gereicht?“
„Ja. Aber mir reicht etwas anderes nicht, nämlich deine Erklärungen. Ich muss wissen, warum du an Bord bist. Was ist das für eine schmutzige Geschichte, die du angedeutet hast?“
„Das willst du nicht wissen.“
„Doch, das will ich!“ Jade war plötzlich sehr resolut. „Meinst du damit den Mord?“
Auf Peters Miene spiegelten sich Verwirrung und Unglauben wider. Falls er von dem Verbrechen gewusst hat, verstellt er sich erstklassig, dachte Jade.
„Ich weiß nichts von einem Mord!“, entgegnete er. „Das musst du mir glauben.“
„Ich muss gar nichts. Ich habe dir einen Gefallen getan und dir Kleidung beschafft. Jetzt musst du mir entgegenkommen und mir sagen, warum du an Bord bist. Es muss ein Geben und Nehmen zwischen uns sein, sonst werden wir niemals Freunde.“ Jade hatte die Worte ausgesprochen, ohne lange darüber nachzudenken. Aber sie bereute kein einziges. Ja, sie wollte Peter wirklich näherkommen. Doch damit das möglich wurde, musste erst Vertrauen zwischen ihnen entstehen. Da war Jade sehr konsequent.
Peter nickte. Er blickte aufs Meer hinaus.
Sie standen an der Reling, zwischen ihnen befand sich der Heckflaggenstock, an dem die britische Flagge wehte. Jade war sehr gespannt. Als sie schon ungeduldig wurde, setzte Peter endlich zu einer Antwort an.
„Hast du schon einmal von der Nigeria-Connection gehört?“
„Ja, das hat doch irgendetwas mit Betrügereien zu tun, deren Hintermänner auf dem Schwarzen Kontinent sitzen.“
„Genau. Nigeria-Connection ist ein Oberbegriff. Dahinter verbergen sich so unterschiedliche Machenschaften wie Heiratsschwindel, Erpressung oder Internetbetrug. Die Bosse sitzen oft in Abuja, der Hauptstadt von Nigeria. Aber sie haben auch Komplizen und Mittelsmänner in Europa – so wie Stan Nelligan!“
Peter hatte den Namen des dritten Offiziers zweifellos voller Abscheu ausgesprochen. Er runzelte die Stirn, sah Jade kurz an und blickte dann wieder aufs Meer. In diesem Moment sah er zum ersten Mal bedrohlich aus, fand Jade. Schnell hakte sie nach. „Stan Nelligan – du sprichst von dem dritten Offizier der MS Kyrene?“
„Ja, genau. Jetzt dient Nelligan auf diesem Kreuzfahrtschiff. Früher hat er auf Frachtern gearbeitet, die auf der
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