Rau ist die See ...
Staatsanwaltschaft bestimmt über Peters illegale Aktion hinwegsehen. Jedenfalls hoffte Jade das. Und wie hätte er anders an Bord gelangen sollen, ohne Geld? Jade wusste, dass selbst die billigsten Tickets der MS Kyrene sehr teuer waren. Außerdem – wenn Nelligan zufällig Peters Namen auf der Passagierliste entdeckt hätte, hätte er Lunte riechen und Beweismittel vernichten können. Da ist es schon besser, ihn in Sicherheit zu wiegen, sagte sich Jade.
Sie mochte Peters ruhige Art und seine Gradlinigkeit. Er war ein Mann, in dessen Gegenwart sie sich einfach nur wohl fühlte.
Lächelnd bog sie in den nächsten Gang. Sie war richtig gut drauf.
Doch als sie zu ihrer Kabine zurückkehrte, stand die Tür offen. Ihre Sachen waren durchwühlt worden – und die Videokamera war verschwunden.
6. KAPITEL
Jade musste sich zusammenreißen, um nicht hysterisch zu werden. Sie kniete auf dem stählernen Boden ihrer Kabine und versuchte schluchzend, wieder Ordnung in ihre Habseligkeiten zu bringen. Normalerweise hatte Jade nicht so nahe am Wasser gebaut. Jetzt konnte sie nicht verhindern, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen.
Die zunehmenden Schiffsbewegungen trugen nicht gerade dazu bei, dass sie sich beruhigen konnte. Ach ja, dachte Jade, wir müssen einer Schlechtwetterfront ausweichen. Offenbar gelang es nicht vollständig.
Wenigstens konnte Peter nicht der Täter sein. Der Einbruch musste stattgefunden haben, während sie sich mit ihm auf dem Achterdeck getroffen hatte. Als sie die Plastiktüte mit den Kleidungsstücken geholt hatte, war in ihrer Kabine noch alles in Ordnung gewesen.
Jade stand auf und sah sich die Tür stirnrunzelnd näher an. Das Schloss war nicht beschädigt. Hatte sie die Tür nicht richtig hinter sich geschlossen? Das wäre immerhin möglich gewesen, denn sie hatte es eilig gehabt.
Seufzend wischte Jade sich die Tränen vom Gesicht und zwang sich, noch mal in Ruhe nachzudenken. Fehlte außer der Videokamera etwas? Ja, ihr Notebook. Das Handy hatte sie in ihrer Tasche, ihre Kreditkarte sowie ihren Ausweis trug sie gewohnheitsmäßig in einem Brustbeutel unter dem T-Shirt bei sich. Den Verlust des Notebooks konnte sie verschmerzen, sie hatte ihn für ein paar Pfund gebraucht gekauft.
Jade glaubte nicht an einen normalen Einbruch. Wahrscheinlich hatte der Täter das Notebook nur mitgehen lassen, um sein alleiniges Interesse an der Video-Kamera zu vertuschen.
Bin ich jetzt überhaupt noch sicher auf der MS Kyrene, fragte Jade sich und rieb sich die kalten Arme.
Der Mörder sah in ihr sicher nur eine lästige Mitwisserin. Würde er sie nicht als Nächste aus dem Weg räumen?
Jade merkte, dass sie wieder panisch wurde. Und das war gar nicht gut. Wenn sie jetzt die Nerven verlor, würde das nur dem Täter nützen, und sonst niemandem. Sie musste jetzt kühl nachdenken, wenn es auch schwerfiel.
Wieder atmete sie tief durch. Die MS Kyrene war auf hoher See. Wenn Jade jetzt plötzlich verschwand, gäbe es nur zwei Erklärungen: ein Unfall oder ein Verbrechen. Niemand würde behaupten können, sie hätte plötzlich die Lust an ihrem Job verloren und wäre an Land gegangen. Also würde eine polizeiliche Untersuchung erfolgen. Und das konnte der Mörder absolut nicht wollen. Jedenfalls hoffte sie das.
Solange das Kreuzfahrtschiff keinen Hafen anlief, konnte Jade sich also relativ sicher fühlen.
Trotzdem brauchte sie Hilfe. Sollte sie mit Peter sprechen? Das hätte sie am liebsten auf der Stelle getan. Er würde sie garantiert unterstützen. Aber er musste sich ja versteckt halten, um nicht aufzufliegen. Außerdem kannte er sich an Bord noch weniger aus als sie.
Es gab also nur noch einen Menschen, auf den sie hoffen konnte: Henry.
Ihr platonischer Freund war zwar in diese Gewitterziege Roxanne White verknallt, aber das war auch das Einzige, was es an ihm auszusetzen gab. Jade beschloss, ihn in die Geschichte mit dem Videotagebuch einzuweihen. Nur Peter durfte sie nicht erwähnen.
Vielleicht bekam sie durch Henry auch noch mehr über Nelligan heraus, was für Peter von Nutzen sein konnte.
Damit konnte sie nicht bis zum nächsten Morgen warten.
Henrys Kabine befand sich ein Deck tiefer. Während Jade an seine Tür pochte, ertappte sie sich dabei, dass sie immer wieder über die Schulter blickte. Dabei war ihr vollkommen klar, dass der Mörder bisher mehr als eine Gelegenheit gehabt hatte, um sie zu überwältigen. Sie war oft genug allein in den labyrinthischen Gängen des Schiffs
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