Rau ist die See ...
lächelte und lenkte das Gespräch nun auf unverfänglichere Themen. Georgettes Beobachtungen hatten ihr einen ungeheuren Auftrieb gegeben. Leider wusste sie immer noch nicht, ob und wie viele weitere Komplizen Roxanne hatte. Das war ein großes Risiko, denn praktisch jeder kam infrage. Okay, Henry und Peter sicherlich nicht. Aber ansonsten war die Aussicht auf einen Anteil an einer halben Million Pfund Sterling sicher ein großer Anreiz, selbst für ehrliche Leute.
Der Reisebus fuhr durch eine dünn besiedelte Berglandschaft. Jade war zum ersten Mal in Norwegen und fasziniert von der Natur, die noch rauer und urwüchsiger zu sein schien als die schottischen Highlands.
Nach einer Stunde Fahrt hatten sie den Ausgangspunkt der Wanderung erreicht.
Der Busfahrer beugte sich zu Jade, zum Glück sprach er fließend Englisch. „Dort oben ist der Aussichtspunkt, Miss. Von dort aus haben Sie einen Panoramablick auf das Massiv des Fresvikbreen. Die Wanderwege sind gut ausgeschildert.“
„Wie lange wird die Tour dauern?“
„Wenn Sie in gemächlichem Tempo laufen, müssten Sie in zwei Stunden wieder hier sein. Der Weg verläuft schlaufenförmig. Ich werde hier auf Sie warten.“
Jade bedankte sich und forderte die Teilnehmer auf, sich vor dem Bus zu sammeln. Nachdem alle Passagiere aus dem Bus gestiegen waren, übernahm sie die Führung der Gruppe. Erfreut stellte Jade fest, dass der Wanderpfad tatsächlich sehr gut ausgeschildert war.
Dennoch verspürte sie eine unerklärliche Beklommenheit beim Betreten der norwegischen Bergwälder. Auf den ersten Blick wirkte hier nichts bedrohlich. Die Sonne schien immer noch vom wolkenlosen Himmel. Doch die Baumwipfel waren so hoch und standen teilweise so dicht, dass fast überall ein geheimnisvolles Dämmerlicht herrschte. Hier und dort gab es Lichtungen. Aber gerade durch diesen Kontrast erschien Jade die düstere Atmosphäre noch einengender und bedrohlicher. Sie sah sich nach den anderen um und bemerkte, dass sie nicht die Einzige war, die es in diesem Wald unheimlich fand.
„Brrr, hier möchte ich mich nicht allein verirren“, sagte Georgette, die hinter ihr auf dem schmalen Pfad ging. „Du musst mich für eine Gespenstertante halten, Jade. Aber hier kann man wirklich hinter jedem Baumstamm einen Waldgeist vermuten.“
„Ich bin sicher, dass es weiter oben heller wird“, erwiderte Jade. Sie konnte Georgette gut verstehen, aber sie wollte sich keine Blöße geben. Was sollten die ihr anvertrauten Passagiere denken, wenn sie zugab, wie schaurig sie den Wald fand?
Dabei fürchtete sie sich nicht etwa vor Kobolden, Geistern, Feen, Trollen oder ähnlichen Wesen. Sie wusste einfach nicht, wem unter den Passagieren sie vertrauen konnte. Bei Roxanne gab es keinen Zweifel daran, dass Jade sich vor ihr in Acht nehmen musste. Aber gab es noch weitere Personen, von denen sie lieber Abstand halten sollte?
Hinzu kam, dass Jade sich seit Stunden den Kopf zermarterte. Sie hatte das beunruhigende Gefühl, einen wichtigen Hinweis bekommen und sofort wieder verdrängt zu haben. Es war, als würde sie in ihrem Gehirn nach einem Wort suchen, das ihr sozusagen auf der Zunge lag. Doch es wollte und wollte ihr nicht einfallen. Die Lösung des Falls schien Jade zum Greifen nah zu sein. Aber sie hatte keinen blassen Schimmer, worin dieser Anhaltspunkt bestanden haben konnte. Es war zum Haareausraufen.
Immerhin behielt sie recht, was die landschaftlichen Veränderungen anging. Je weiter der Wanderweg anstieg, desto lichter standen die mächtigen Tannen und Fichten auf dem felsigen Untergrund. Obwohl es nur sanft bergauf ging, machte sich doch allmählich die Anstrengung bemerkbar – auch bei Jade. Sie hatte in den vergangenen Nächten nur wenig Schlaf bekommen, und das rächte sich jetzt allmählich.
„Können wir eine Rast einlegen?“, fragte einer der älteren Teilnehmer des Ausflugs.
Jade fand, dass das eine ausgezeichnete Idee war. Sie schaute auf die Uhr. Offenbar waren sie bisher schneller gewesen als geplant. Sie hatten schon fast den Aussichtspunkt erreicht. Also konnte eine Pause nichts schaden. „In einer halben Stunde marschieren wir von hier aus weiter“, verkündete Jade mit lauter Stimme.
Sie setzte sich unter eine Tanne und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm. Sofort spürte sie eine angenehme Müdigkeit, ihre Arme und Beine wurden schwer. Jade nahm sich vor, die Augen nur für einen Moment zu schließen.
Der Mörder hatte schon auf sie gewartet. Jade war
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