Raumkundschafter Katman
das freieste Varietéprogramm
des Landes.
Das Paar auf der Bühne bewegte sich anmutig und kraftvoll
zugleich. Nur mit einem Schrittband bekleidet, er und sie, tanzten sie einen Liebestanz.
Das neue Programm begann gut, dachte Shayle. Er war neugierig auf die Darbietungen und die Frühkritik in den Medien. Einige Nischen hinter ihnen saß Medea Crossing, ehrenamtlich im Stadtrat und beruflich Ästhetokritikerin beim Hauptmedium. Die anderen richteten sich meist nach ihrem Urteil.
Das fast nackte Paar war sicherlich nicht nach ihrem Geschmack. Wenn Medea diese Nummer verriß und andere Kritiker in das gleiche Horn stießen, dann war dem Programm für
lange Zeit ein volles Haus sicher.
Shayle blickte gespannt zur Bühne. Wie würden die beiden
den Höhepunkt des Liebesaktes darstellen? Und wie Cindy
Frosker es aufnehmen?
Unauffällig musterte er sie.
Etwas Herbes, Knabenhaftes ging von ihr aus. Dennoch erregte sie ihn. Nicht nur erotisch. Immer hatte sie seine Einla
dungen abgelehnt. Heute sagte sie zum erstenmal zu. Der Tanz näherte sich seinem Ende. Jock Shayle fühlte Enttäuschung. Eng aneinander geschmiegt, boten die beiden einen
teils wiegenden, teils wellenden synchronen Partnertanz, bei
dem die Füße ihren Standort nicht verließen. Dazu eine einschmeichelnde Musik.
Cindys Augen hingen an dem Tanzpaar. Ihr Körper bewegte
sich, wenn auch kaum bemerkbar, im Rhythmus des Tanzes.
Beifall rauschte auf.
»Gefällt es Ihnen?«
Sie klatschte. »Deutlich und doch ohne Grobheit.« »Er hätte Chancen bei Ihnen?«
»Ja und nein. Zuviel Muskeln und zu wenig Charakter. Aber
das ist eben im Tanz schwer gestaltbar.«
Er wollte ihre Hand streicheln, verhielt aber mitten in der
Bewegung. »Vielleicht, weil es jeder Zuschauer anders empfindet?«
Einer der Saalbetreuer erschien. »Herr Shayle?«
»Ja?«
»Eine Verbindung mit Ihrer Dienststelle ist geschaltet. Wenn
Sie mir folgen wollen?«
Shayle klopfte auf seine Westentasche. »Weshalb ruft man
mich nicht über den individuellen Kanal?«
»Wegen des Auftritts der Elektronikmagier«, der Blaubefrackte Wies zur Bühne, »ist das Gebäude abgeschirmt. Absolut. Die Sicherheit der Artisten… Sie verstehen? Deshalb nur
der Draht.«
»Entschuldigen Sie.« Shayle schob sich unwillig hinter dem
Tischchen hervor.
»Wird aus unserem Essen heute noch etwas?«
»Ich hoffe.« Er entfernte sich eilig.
Sie traten vor den in Licht und Farben schwelgenden Eingang
der Freizeitstadt.
»Die Außenkabinen verkehren nicht mehr.«
»Meine Kab wird gleich eintreffen.«
»Und wenn wir laufen? Bis Ihre individuelle Kab hier ist,
sind wir schon am Center. Dort steigen wir aufs Fußgängerband.«
Er willigte ein.
Sie dachte, ein Glück, daß ich den leichten Toast mit Meeressalat schon vorbestellt hatte. Denn zum zweiten Gang waren
sie nicht mehr gekommen. Alarmstufe eins…
Jock Shayle schimpfte. Sie nahm es gelassen.
»Wenn es bloß eine Lappalie ist, dann kann der Diensthabende aber etwas erleben. Sicherlich wieder eine Routinemeldung
von der Serdjuk. Die können sie doch im Funkzentrum bis zum
Dienstbeginn zurückhalten.«
»Sagten Sie Serdjuk?«
»Sprach ich davon?« Er biß sich auf die Unterlippe. Der korrekte Shayle würde in seinem Ärger noch Dienstgeheimnisse
ausplaudern. »Das Schiff müßte sich diese Woche melden.
Haben Sie etwa jemanden an Bord?«
»Ja.«
»Und jetzt sind Sie neugierig. Wenn Sie wollen, warten Sie
im Gästeraum, und ich sage Ihnen, ob alles in Ordnung ist.«
Ein Jock Shayle konnte auch entgegenkommend sein. »Danke, mach ich.«
»Wer ist es denn?«
»Katman.«
Shayle geriet ins Stolpern.
»Ich holte ihn aus dem Urlaub. Damals, beim Astroalarm. Ihn
und seine Herzdame.«
»Ach so.« Er beruhigte sich. »Die ist auch mit oben.« »Er war damals an jenem sibirischen Flüßchen auch nackt, als
ich ihm begegnete. Nicht ganz so muskulös wie der Tänzer
heut. Aber ein Charakter, wenn Sie mich verstehen.« Sie warf Shayle einen Blick zu. Sie wollte ihn nicht verletzen,
nur ein bißchen reizen. Als Frau.
Noch lächelte er.
»Wie er sich bewegte, mit mir sprach, mit seiner Partnerin
umging. Er beeindruckte mich.«
Shayle schwieg zu ihrem Geplauder.
Der Diensthabende zeigte eine betont ernste Miene. Auf dem
Monitor stand die Meldung, eine Menge Text. Gut, daß sie mit
dem Ausdrucken gewartet hatten. Eventuell mußte gefeilt werden. Nicht jede Nachricht diente dem Wohle der Menschen.
Zwar war jede Wahrheit kostbar – aber nicht zu jeder Zeit und
nicht für jedermann.
»… erste
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