Raumschiff 2 - Nancia
Passagiere hat, die gar nicht wissen, daß sie über Vernunft verfügt, und wenn diese gern in der Zentralkabine sitzen und SPACED OUT
spielen und dabei zufällig einige, möglicherweise
ungesetzliche Pläne besprechen?«
»Ach so – das soll also ein hypothetischer Fall sein?« Caleb klang erleichtert, und für Nancia galt das gleiche. Wenigstens hatte er, anders als Simeon, nicht sofort erraten, daß sie tatsächlich über ihre jüngste eigene Erfahrung sprach. Alles, was Nancia über Caleb erfahren und gesehen hatte – von den Nachrichtenstrahlen bis zu seinem heldenhaften Soloflug nach Wega – vermittelte ihr den Eindruck eines Mannes von
höchster Integrität, auf dessen Wort sie unter allen Umständen vertrauen könnte. Sie wollte nicht, daß er sie auslachte, wie Simeon es getan hatte, oder andeutete, daß ihr eigenes Tun in diesem Fall moralisch verwerflich gewesen sei.
»Nun, in einem solchen Fall darfst du nicht vergessen, daß ein vernunftbegabtes, denkendes Schiff die moralische
Verpflichtung hat, sich seinen Passagieren bei der
erstmöglichen Gelegenheit als solches zu offenbaren.«
»Das steht aber nicht in den Vorschriften«, verteidigte sich Nancia gegen eine Beschuldigung, von der Caleb gar nicht merkte, daß er sie soeben ausgesprochen hatte.
»Nein, aber es entspricht dem gesunden Menschenverstand.
Alles andere wäre so, als würde… als würde ich mich in einem Schrank verstecken, um Gouverneur Thrixtopple dabei zu erwischen, wie er gerade seine ungesetzlichen Profite aus den Schmiergeldzahlungen seiner Amtszeit zählt.« Caleb sagte es mit soviel Abscheu in der Stimme, daß Nancia davor
zurückschreckte, das Thema zu vertiefen.
Und Caleb tat das offensichtlich auch. Er blickte zum
Zentralmonitor hinauf, wo gerade ein Gespinst mattgrauer Linien Nancias wiederholte Versuche dokumentierte, eine Strecke aus Singularitätspunkten durch die topologische Konfiguration zu errechnen, die er definiert hatte.
»Gehen wir der Einfachheit halber davon aus, daß Satyajohis Konjektur in diesem besonderen Fall standgehalten hat«, schlug er vor, »dann bist du jetzt an der Reihe, mir eine Aufgabe zu stellen. Ich weiß nicht, warum wir hypothetische Probleme der Ethik diskutieren sollten, die nur höchst unwahrscheinlich jemals aktuell werden könnten, während wir doch unser Können auf dem Gebiet der
Dekompositionsmathematik verbessern sollten. Außerdem
begreife ich nicht, warum du – « Er biß sich auf die Lippe und löschte den Schirm mit einer schnellen Drehung des Joyballs.
»Weshalb ich was?« fragte Nancia.
»Du bist an der Reihe, eine Aufgabe zu stellen«, erinnerte sie Caleb.
»Nicht, bevor du nicht diesen Satz beendest hast!«
»Also gut! Ich verstehe nicht, warum du ausgerechnet einen Piloten um ethischen Rat fragst, dessen herausragendste bisherige Leistung darin bestanden hat, sein allererstes Schiff zu verlieren!« Caleb spuckte die Worte mit einer frustrierten Heftigkeit hervor, die Nancias Sympathie weckte. Sie erinnerte sich an Simeons Trauer über seinen verlorenen Freund Levin, CL-740. Wie dumm sie doch gewesen war.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich hätte begreifen sollen, daß ein Gespräch über derartige Fragen dich an Levin erinnern würde. Vermißt du ihn denn so sehr?«
Caleb seufzte. »Das ist es nicht, XN. Levin war ein gutes, kompetentes GehirnSchiff, er hat mich ausgebildet, als ich noch ein junger Pilot war, und ich werde ihm auch stets zu Dank verpflichtet sein. Aber wir waren nicht – wir haben uns nicht einfach mal so unterhalten, verstehst du? Ich habe fünf Jahre mit ihm zusammen gedient, und ich glaube nicht, daß ich ihn in dieser Zeit jemals wirklich kennengelernt habe. Nein, ich trauere nicht um Levin. Aber er hatte ein Anrecht darauf, noch hundert weitere Jahre Dienst zu tun, und diese Zeit habe ich ihm geraubt. Und ich selbst hatte auch darauf gehofft, ein wenig länger als fünf Jahre als Pilot tätig sein zu können.«
»Das kannst du doch immer noch«, warf Nancia ein. »Nur weil dir noch kein Schiff zugeteilt wurde…«
»Und welches GehirnSchiff würde wohl den Piloten
akzeptieren, der CL-740 hat sterben lassen?« fauchte Caleb zurück. »Diesen kleinen Einwand hast du doch selbst nur allzu deutlich gemacht, XN. Und nun wechseln wir das Thema. Die nächste Aufgabe, bitte!«
Sobald sie aus der Singularität ausgetreten und in den Subraum der Zentralwelten gelangt war, funkte Nancia CenCom auf einem Privatstrahl an. Sie wollte
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