Raumschiff 2 - Nancia
sie das schlechte Gewissen für jedes unordentliche Element im Universum. Nancia erinnerte sich nicht mehr, was es damals gewesen sein konnte, das das mißbilligende Glitzern in Jinevras Augen oder den
verspannten, verkniffenen Zug um ihre Mundwinkel
verursacht hatte, als dieses Bild gespeichert worden war, doch schien sie in dieser Projektion wütend auf Flix zu blicken.
Einer der roten Stacheln seiner Retropunkfrisur erschlaffte unter dem vernichtenden Blick der Projektion.
Nancia bemitleidete ihn. Jinevra hatte sich nie die Mühe gemacht, mit ihrer Meinung hinterm Berg zu halten, daß ihr gemeinsamer kleiner Bruder nur ein Tunichtgut und eine Schande für die ganze Familie sei. Papi, so vermutete sie, empfand das wohl sehr ähnlich. Das Gewicht der Mißbilligung des Clans der Perez y de Gras wäre ihr selbst als schier erdrückend erschienen. Doch wie konnte sie sich ihnen in ihrer Verdammung Flix’ anschließen? Sie hatte mehr als genug Geschichten darüber zu hören bekommen, was er alles
ausgefressen hatte – ja, es gab Zeiten, da Jinevra und Papi wenig anderes im Sinn zu haben schienen, als ihre kurzen Besuche bei ihr damit zuzubringen, nur darüber zu reden.
Doch für Nancia war er immer noch der kraushaarige kleine Junge, der bei jedem Besuch ihre Titanschale umarmt, gewinkt und so enthusiastisch gebrüllt hatte, als wäre sie eine richtige Schwester aus Fleisch und Blut, die ihn auf ihrem Schoß herzen könnte; und der vor Entzücken losgebrüllt hatte, als sie ihn durch die Schule führte, um mit ihren Klassenkameraden eine schnelle Runde Stromsuchen zu spielen.
Und was sollte es ihr schon anhaben können, es einmal mit dem dummen Spiel zu versuchen?
»Es wird dir gefallen, Nancia«, meinte Flix hoffnungsfroh, als Jinevras projiziertes Abbild langsam am Schirm erlosch.
»Ehrlich. Es ist die beste Version, die SpaceGamers jemals auf den Markt gebracht haben. Sie hat vierundsechzig Stufen versteckter Tunnels, eine Simulation des Singularitätsraums, Holozwerge…«
»Holozwerge?«
»Schau nur.« Flix ließ das glitzernde Datahedron in den nächstgelegenen Leseschlitz fallen. Merkwürdig: Nancia konnte sich nicht daran erinnern, dieses Lesegerät freigegeben zu haben, aber sie mußte es ja wohl irgendwie getan haben.
Ein leises Sirren ertönte, als der Inhalt des Datahedron in den Computerspeicher eingelesen wurde, dann sagte Flix: »Stufe Sechs, Holo!«, worauf ein rotbärtiger Zwerg mitten in der Kabine erschien, in der Hand einen Krummsäbel, dessen
Knauf in einem Sprühregen gespiegelten bunten Lichts
leuchtete. Flix krümmte ein Knie, als der Säbel des Zwergs auch schon genau an der Stelle durch den Raum zischte, wo eben noch sein Kopf gewesen war, rollte sich in Richtung eines Befehlspaneels ab und rief: »Raum Zehn, Laserrüstung!«
Um ihn herum verbogen sich Lichtstrahlen zu unglaublichen Kurven. Der Zwerg beugte sich vor und stieß seine Klinge durch eine Lücke zwischen den sich schnell verwebenden Lichtbändern –
Und verschwand.
Ebenso wie das Licht.
Flix sprang auf die Beine, er war enttäuscht. »Du hast das Spiel abgewürgt! Dabei war ich gerade am gewinnen!«
»Ich… ich glaube nicht, daß ich schon so recht auf
Holozwerge eingestellt bin«, entschuldigte sich Nancia. »Ich reagiere nun einmal automatisch, sobald ich mitansehen muß, wie Menschen, die ich liebe, angegriffen werden.«
Flix nickte. »Tut mir leid. Ich schätze, wir müssen dich wohl erst langsam darauf einstimmen. Willst du mit Ebene 1
anfangen, ohne Holos?«
»Das klingt… schon besser.«
Und es war auch tatsächlich besser. Ja, Nancia merkte nach ein paar Runden sogar, wie sie das alberne Spiel genoß, obwohl es ihr immer noch Schwierigkeiten bereitete, die Regeln zu begreifen.
»Was soll ich denn mit dem Laserstab anfangen?«
»Der hilft dir dabei, im Gravitationsbrunnen bergauf zu gehen.«
»Das ist doch Blödsinn! Laser haben überhaupt nichts mit Gravitation zu tun.«
»Nancia! Es ist doch nur ein Spiel! Und jetzt vergiß nicht, den Simugreif um die Antworten auf die Drei
Toroidendrillinge zu fragen; die wirst du brauchen, sobald du die Trollbrücke erreichst…«
Während Flix sie in die Grundzüge des Spiels einweihte, stellte Nancia fest, daß das eigentliche Spielprogramm nur einen geringen Teil ihrer Rechenleistung beanspruchte. Es fiel ihr überhaupt nicht schwer, gleichzeitig beim Spielen den Datenschub von CenCom über ihre baldigen Passagiere
durchzugehen. Gleichzeitig
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