Raumschiff 4 - Channa
entlang, wobei sie alle Ausbuchtungen und
Krampen ignorierte, die ihr Vorankommen nur unwesentlich behinderten. Ihre Motorik verlief reflexartig, sie war von kunstloser Effizienz.
Niemand wird mich wieder weggeben, dachte sie. Erst gewöhnen sie mich an regelmäßiges Essen und an die Schule und alles, und dann geben sie mich weg! Der Gedanke kreiste immer und immer wieder in ihrem Kopf, füllte ihn aus, so daß es Minuten dauerte, bis die Sirene ihre Selbstverlorenheit durchbrechen konnte.
»Ach, verdammt«, flüsterte sie mit immer noch leiser
Stimme, als sie ihr gelauscht hatte. Dann machte sie kehrt und ging den Weg zurück, den sie gekommen war. Dort hinten war der Computer; ohne Computer war sie nicht in der Lage
festzustellen, was wirklich los war. Und außerdem war da auch ihr Raumanzug. Die Sache klang ernst.
»DIES IST KEINE ÜBUNG! ICH WIEDERHOLE, DIES IST
KEINE ÜBUNG!« Die Worte hallten durch die Gänge und
Säle, doch diesmal ohne die melodramatischen Sirenen, die Simeon sonst immer verwendet hatte. »Entbehrliches Personal hat sich sofort in den Sicherheitstrakten zu melden. Melden Sie sich in den Sicherheitszonen. Vorbereitung auf Durchbrechung der Außenhülle.«
Diesmal lauschten die Bürger von SSS-900-C, stiegen hastig in ihre Raumanzüge, sammelten Kinder und Haustiere ein und strömten den Schutzräumen im Kern oder in der jeweiligen Abteilung der Station zu. Mannschaften bestiegen ihre Schiffe, deren Vertauungen bereits gelöst wurden, Zutrittsluken schlossen sich, und jede »Alle Mann an Bord«-Meldung wurde sofort an Simeon weitergeleitet. Notmannschaften besetzten ihre ihnen zugeteilten Posten. Lazarettpatienten, die nicht transportfähig waren, wurden in individuelle
Lebenserhaltungseinheiten verbracht, die über eine
unabhängige Stromversorgung verfügten. Schon bald blieb den meisten Bürgern von SSS-900-C nichts anderes mehr übrig, als abzuwarten und sich vorzustellen, wie ihre Station von dem auf sie zurasenden Eindringling zerschlagen wurde wie ein Ei.
Simeon arbeitete fieberhaft, wies Schiffe aller Größen an, der berechneten Bahn des anlaufenden Schiffs auszuweichen, ließ sie brutal in Unwissenheit darüber, daß Schiffe mit
gewöhnlichen, schalenlosen Piloten kaum die superschnellen Reaktionen würden aufbringen können, die er ihnen
abverlangte. So weit, so gut – immerhin war niemand dort draußen dazu verurteilt, noch heute zu sterben. Einen langen Augenblick lang glaubte er zu bemerken, wie das fremde Raumschiff bremste, doch das Energiefeuer flackerte nur kurz auf und erlosch wieder. Es hat nur 7 % seiner relativen Geschwindigkeit reduziert, berechnete Simeon verdrossen. Das ist nicht einmal annähernd genug.
»Warum haben die bloß keine Mobilität einprogrammiert?«
»Wer?« fragte Channa abwesend. »Wo?«
»In mir! In dieser Station! Ich kann mich nicht einmal ducken! Ich verfüge über keine Waffensysteme, um das Schiff wegzupusten. Ich kann nicht einmal eine solche Masse
abwehren. Ich kann nur noch zusehen. Die wenigen Laser, über die ich verfüge, können höchstens einen mittleren Meteoriten vernichten. Ich kann lediglich diese Hülle ein wenig aufwärmen, und selbst dazu muß ich erst warten, bis er mir schon in den Hintern kriecht! Verdammt! Diese Station ist doch ein einziges querschnittgelähmtes Raumschiff!«
»Hoppla! Hast du das gesehen?« rief Channa. Die Masse
schien gezielt einen Schlenker zu fliegen, um einem
gewöhnlichen Bergbauschiff auszuweichen, etwas, was der Bergbauschiffskapitän höchstwahrscheinlich nicht selbst hätte vollziehen können. »Schau mal«, sagte sie. »Da! Siehst du? Es hat ein wenig den Kurs geändert, um dem einlaufenden
Fährverkehr auszuweichen. Es wird doch gelenkt.«
»Aber wovon?« wollte Simeon wissen. Er unterzog die
Ballistik dieser Manöver einer Berechnung. Die
Abweichungen waren absolut minimal und reichten gerade aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen. »Es ist
inzwischen so schnell, daß kein menschlicher Pilot es
aufhalten könnte, ohne dabei das Bewußtsein zu verlieren. Sie antworten nicht auf Funknachrichten. Sie ignorieren die verdammten Warnfeuer. Verdammt, vielleicht glauben die sogar noch, daß wir sie willkommen heißen. Ja, wirklich hervorragend!«
»Aber sie bremsen doch schon wieder, Simeon«, warf
Channa ein und hob den Blick von ihren eigenen Monitoren zum Hauptbildschirm, bevor sie sich den anderen Aufgaben wieder widmete, die sie übernommen hatte.
»Ja,
Weitere Kostenlose Bücher