Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Scheinwerfers zurück.
Weitere Fische tauchten auf, bizarre, graziöse Schemen, die jeden Hobbytaucher fasziniert hätten. Aber Nick Jerome und Jeff Kurtz waren Profis. Für sie war die fremdartige Unterwasserwelt nicht mehr als ein Arbeitsplatz. Die Schönheiten dieses Kosmos, die zu Beginn ihrer Taucherlaufbahn noch von hohem ästhetischem Reiz für sie gewesen waren, ließen sie nun längst kalt.
Sie waren jetzt knapp über dem Grund. Wie erwartet, war alles sandig und glatt. Wenn das Wrack hier irgendwo lag, würde es ziemlich tief eingesunken sein. Im Notfall würden sie die Absauger einsetzen müssen, um den Sand zu entfernen.
Das aber lag noch in weiter Zukunft. Noch sahen sie nämlich keine Spur des Schiffes, das hier vor mehreren Jahrhunderten gesunken sein sollte.
Wir gehen am besten in Kreisen vor, signalisierte Jeff Kurtz, indem er seinen rechten Zeigefinger bedeutungsträchtig kreisen ließ. Dann deutete er senkrecht nach oben, dorthin, wo ein kleiner schwarzer Fleck die Anwesenheit des Kutters verriet. Als Mittelpunkt nehmen wir die LAURA.
Einverstanden. Nick fand keine Gründe, die dagegen sprachen, nach diesem Standardverfahren vorzugehen. Er deutete zuerst auf sich und dann auf Jeff. Bleiben wir zusammen?
Jeff nickte heftig. Natürlich. Das kostete zwar Zeit, war aber bei Ersterkundungen sicherer. Immerhin kannten sie die hiesigen Gewässer nicht besonders gut.
Und wenn sie zu viel Zeit verloren, konnten sie beim zweiten Trip immer noch die Scooter mit hinunternehmen.
Die beiden Taucher schwammen mit kräftesparenden Bewegungen knapp über dem Meeresgrund dahin.
Bis jetzt war diese Ersterkundung ein reines Routineunternehmen. Nick empfand fast ein wenig Langeweile. Während er beiläufig den sandigen Grund im Auge behielt, schweiften seine Gedanken ab zu den Kopien der alten Schriftstücke, die ihr Auftraggeber ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Die Aufzeichnungen waren in altertümlichem Spanisch abgefasst, das Nick jedoch ohne große Mühe hatte entziffern können, weil er Spanisch wie eine zweite Muttersprache beherrschte.
Bei der Lektüre der Aufzeichnungen hatte er allerdings feststellen müssen, dass die Kopien sorgfältig retuschiert worden waren. Ganze Absätze fehlten, obwohl sie im Original wahrscheinlich vorhanden gewesen waren.
Normalerweise hätte Nick auf diese Manipulationen ärgerlich reagiert, aber das versprochene Honorar war außergewöhnlich hoch. Und wenn es um viel Geld ging, war Nick Jerome jederzeit zu Zugeständnissen bereit - besonders jetzt, da sein Kontostand so schlecht war, dass er kaum eine andere Wahl hatte, als den nächstbesten lukrativen Auftrag anzunehmen.
Aus den Dokumenten hatte Nick ersehen, dass in dem Seegebiet, in dem sie sich jetzt aufhielten, im Jahre 1526 ein spanisches Schiff, die ESPERANZA, gesunken war. Die Ursache dieses Unglücks war anscheinend, soweit sich das aus den verstümmelten Dokumenten erkennen ließ, nie ergründet worden. Der Kapitän des Begleitschiffes der ESPERANZA hatte berichtet, dass das Schiff ohne jeden ersichtlichen Grund plötzlich in die Tiefe gesackt sei - »ganz so, als sei der Rumpf auf einmal an vielen Stellen zugleich leck geworden«, wie es im Text hieß. Die gesamte Besatzung war dabei umgekommen.
Ein anderes Dokument besagte, dass die ESPERANZA eine große Zahl kostbarer aztekischer Kunstwerke, die Fernando Cortez in Mexiko erbeutet hatte, an den Hof des spanischen Kaisers bringen sollte - wahrscheinlich, um das Ansehen des in Ungnade gefallenen Cortez wieder aufzupolieren. Das Scheitern dieses Planes hatte dann wohl auch Cortez' Untergang besiegelt.
Einige der Kunstwerke waren vom Verfasser des zweiten Dokuments - es handelte sich dabei um einen Mönch - blumig beschrieben worden. Eine dieser Beschreibungen fehlte jedoch; an dieser Stelle war ein Absatz mit großer Sorgfalt wegretuschiert worden. Nick erinnerte sich noch genau an den Text, der direkt an die retuschierte Stelle anschloss.
»... in einem goldenen Kästchen«, hatte es dort geheißen. »Der Kommandant forderte mich auf, das Kästchen mit geweihtem Wachs zu versiegeln, um das Böse, das davon kommen möchte, zu schwächen und zu bannen.«
Nick hatte sich immer wieder gefragt, was sich wohl in dem fraglichen Kästchen befinden mochte. Er vermutete, dass es sich bei dem geheimnisvollen Objekt um einen heidnischen Kultgegenstand handelte, der von den blutrünstigen Azteken bei ihren grauenhaften Riten verwendet worden war.
Aber damit, fand
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