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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Arbeitslosenzahlen in Ihrer Majestät Königreich auch kein sehr vielversprechendes Unterfangen war.
    Dann gab es da natürlich noch Ravens allerletzte Hoffnung. Sie hieß Card, war glatzköpfig, kugelrund und giftzwergig, Inspektor bei Scotland Yard und seit der gemeinsamen Arbeit an einigen Fällen, die sich, behutsam ausgedrückt, in den Grenzbereichen menschlicher Erfahrung abgespielt hatten, so etwas wie Ravens Freund.
    Aber bevor ich den aufsuche, um ihn anzupumpen, dachte Raven grimmig, beiße ich mir lieber freihändig auf einer Kiste stehend im Hyde Park in den Hintern und gehe hinterher mit dem Hut für diese akrobatische Leistung sammeln. Oder verkaufe mich irgendwo in El Bahrein in die Sklaverei, wenn es die da heute noch gibt.
    Ding-ding-dong, läutete die Türglocke. Ding-ding-dong.
    Raven fuhr wie von der Tarantel gestochen auf. Janice hatte natürlich ihren eigenen Schlüssel - schließlich teilte sie hier Tisch und Bett und Büro mit ihm -, und Besuch erwartete er auch nicht. Dann konnte das eigentlich nur ...
    Nein, gerade das war es natürlich nicht. Schließlich gab es seit einiger Zeit so etwas wie eine mathematische Wahrscheinlichkeitstheorie, und seither konnte man sich auch die Hoffnung auf ein kleines Wunder dann und wann endgültig abschminken. Also waren das entweder Kinder, die Klingelmännchen spielten, oder ein Handwerker, der irgendwo drückte, um ins Haus gelassen zu werden. Oder weiß Gott wer sonst.
    Trotzdem übte der Türauslöser plötzlich eine magnetische Anziehungskraft auf Raven aus. Er schwang die Beine vom Schreibtisch, stellte die Füße auf den Boden und erhob sich. Ein stechender Schmerz im Rückgrat ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Die Stellung, in der er sich in den letzten Stunden in den Sessel gefläzt hatte, war zwar sehr bequem gewesen, aber vom orthopädischen Standpunkt aus gesehen auch äußerst bedenklich.
    Mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen erreichte er die Wohnungstür und drückte auf den Knopf. Jetzt konnte er nur noch warten. Aber darin war er ja geübt.
    Wenige Sekunden später verriet ihm das Summen des Lifts, dass sein Besucher auf dem Weg nach oben war. Als sich der Summton abrupt um eine halbe Oktave senkte, wusste Raven, dass der Lift jetzt anhielt. Er zählte innerlich bis drei und öffnete mit elegantem Schwung die Tür - exakt im Gleichtakt mit der Tür des Lifts, die genau gegenüber auf der anderen Seite des Flures lag.
    Der angestrebte Effekt war der von Präzision und gutem Timing. So etwas beeindruckte die Klienten stets ungemein. Raven hatte lange Jahre darauf verwendet, diesen Trick zu perfektionieren.
    Nur dass sich viel zu wenige potentielle Klienten zu ihm verirrten, die darauf hätten anspringen (oder hereinfallen) können.
    Jetzt einen halben Schritt vorgetreten, um den Klienten, sofern es einer war, in Empfang zu nehmen und ins Büro zu geleiten ...
    Ravens Fuß stockte mitten in der Luft.
    Unter einem auf halber Stirnhöhe in vielen kleinen schwarzen Fransen endenden Pony blickten ihn zwei graugrüne, von goldenen Lichtpünktchen durchsetzte Augen nachdenklich an. Das Gesicht, zu dem diese Augen gehörten, war viereckig, nach landläufigen Begriffen vielleicht etwas zu breit und ein kleines bisschen zu unregelmäßig. Der schmallippige Mund verriet, ebenso wie die starken Augenbrauen und das feste Kinn mit dem hübschen Grübchen darin, Zielstrebigkeit und Entschlossenheit. Die Nase war gerade und wohlgeformt, wenn man von einem kleinen, nur bei intensiverem Hinschauen zu erkennenden Höcker dicht unter der Wurzel absah, bei dem es sich um die Spuren eines schon lange zurückliegenden Nasenbeinbruchs handeln mochte. Die Wangenknochen waren ausgeprägt und bedurften nur der allerdezentesten Spur von Rouge, die Wangen waren voll und vom plötzlichen Wechsel aus der Kälte des herbstlichen Vormittags in die Wärme des Apartmenthauses gerötet.
    »So also sieht ein berühmter Privatdetektiv aus«, sagte das Gesicht und lächelte ihn strahlend an.
    Schlagartig wurde Raven klar, dass sie ihn genauso lange und ausführlich gemustert hatte wie er sie. Diese Erkenntnis und ihre Bemerkung, von der er nicht wusste, ob sie nicht vielleicht spöttisch gemeint gewesen war, ließen ihn erröten wie einen vierzehnjährigen Schuljungen.
    Mit einer verzweifelten Anstrengung gelang es ihm, ein »Raven, sehr erfreut« zu murmeln und sie in das Büro hineinzukomplimentieren. Zielsicher strebte die Erscheinung auf den Besuchersessel zu,

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