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Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Titel: Raven - Schattenreiter (6 Romane) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht einmal sicher sein konnte, in dieser Richtung wirklich die Straße zu finden.
    Andererseits konnten sie schlecht hier stehen bleiben, bis die Sonne aufging. Er packte Janice' Hand fester, zog sie eng an sich und ging los.
    Der Weg zurück zur Straße glich einem Albtraum. Zweige und dornige Ranken griffen wie stachelbewehrte Fangarme nach ihren Beinen, verhedderten sich in ihrer Kleidung und zerrten an ihren Haaren, und mehr als einmal rannte Raven geradewegs in einen heimtückisch herunterhängenden Ast und schlug sich das Gesicht blutig.
    Sie waren beide total erschöpft, als sie endlich zur Straße zurückgefunden hatten. Raven hatte keine Ahnung, wie lange der bizarre Spaziergang gedauert hatte, aber der Mond war ein gutes Stück über den Himmel gewandert, seit er aus dem Wagen ausgestiegen und hinter Janice hergelaufen war.
    »Endlich«, sagte Janice erleichtert. Sie ließ seine Hand los, setzte sich auf die niedrige Mauer, die den Wald von der Straße trennte, und schloss erschöpft die Augen. »Geschieht mit recht«, murmelte sie. »Was muss ich mich auch so albern benehmen.«
    Raven schüttelte den Kopf. Vor wenigen Augenblicken war er noch wütend auf sie gewesen, aber jetzt, als sie aus der Dunkelheit des Waldes hinaus waren und er erst richtig erkannte, in welchem Zustand sie war, tat sie ihm leid. Ihre Kleider waren zerfetzt und total verdreckt, ihr Haar hing in wirren, verklebten Strähnen herunter, und ihr Gesicht war von Dutzenden winziger Kratzer und Schnitte verunziert.
    »Du siehst aus, als wärst du durch eine Glastür gegangen, ohne sie vorher aufzumachen«, sagte er scherzhaft.
    Janice verzog müde die Lippen. »Ich fühle mich auch so. Aber es ist nichts Schlimmes. Ein paar Stunden Schlaf ...« Sie gähnte, reckte sich demonstrativ und stand auf. Ihren Bewegungen fehlten die gewohnte Mühelosigkeit und Eleganz. »Ein paar Stunden Schlaf«, sagte sie noch einmal, »und ich bin wieder in Ordnung.«
    Raven sah mit gerunzelter Stirn die Straße hinunter. »Ich fürchte, wir müssen unseren Spaziergang noch ein wenig fortsetzen«, sagte er gedrückt. »Oder siehst du zufällig den Wagen?«
    Janice zuckte zusammen. »Aber er - kann nur ein paar hundert Yards entfernt sein.«
    »Möglich. Aber in welcher Richtung?«
    Sie schwieg einen Moment. Schließlich seufzte sie ergeben, kletterte mühsam über die Mauer und winkte auffordernd. »Gehen wir halt zurück. Mit etwas Glück finden wir die Kiste wieder. Und wenn nicht, können wir vom Lokal aus immer noch ein Taxi anrufen.«
    Raven sprang ebenfalls über die Mauer und folgte ihr schweigend. Bis zu dem Lokal waren es vielleicht zwei Meilen - selbst in ihrem erschöpften Zustand keine unüberbrückbare Entfernung. Wahrscheinlich würde niemand mehr wach sein, aber so erschöpft wie er war, hatte er kaum Gewissensbisse, den Wirt aus dem Bett zu klingeln.
    Sie gingen eine Zeit lang schweigend nebeneinander her. Raven drehte sich immer wieder um, um nach einem anderen Wagen Ausschau zu halten. Aber natürlich war um diese Uhrzeit niemand mehr unterwegs.
    »Weißt du«, sagte Janice plötzlich, »ich glaube, ich muss mich wirklich entschuldigen.«
    »Musst du nicht«, brummte Raven.
    »Doch, das muss ich. Ich hatte zwar Recht, aber deshalb ...«
    »Du hattest nicht Recht«, unterbrach Raven sie wütend. »Außerdem habe ich keine Lust, mich schon wieder zu streiten.«
    »Wenn hier jemand streitet, dann du. Ich versuche bloß, dir zu erklären, dass ...«
    Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Raven zuckte plötzlich zusammen und starrte aus ungläubig aufgerissenen Augen auf einen Punkt irgendwo hinter ihr. Sein Unterkiefer klappte herunter, und auf seinem Gesicht erschien ein derart entsetzter Ausdruck, dass Janice ein eisiger Schauer über den Rücken fuhr.
    »Was ist los?«
    Raven antwortete nicht. Er fuhr plötzlich herum, riss Janice mit sich und verschwand mit einem Hechtsprung hinter der Straßenmauer.
    Janice schlug hart mit dem Kopf auf, aber Ravens Hand erstickte ihren Schmerzensschrei.
    »Still!«, zischte er. »Um Gottes willen, sei still!«
    Janice erstarrte. Sie kannte Raven gut genug, um zu wissen, dass schon einiges geschehen musste, wenn er derart rücksichtslos reagierte.
    Einen Moment lang lag sie reglos da und lauschte in die Nacht hinaus. In den ersten Sekunden hörte sie nichts außer ihrem eigenen wummernden Herzschlag und Ravens regelmäßigen Atemzügen. Dann mischte sich ein neues Geräusch in das Wispern der Nacht:

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