Raven - Schattenreiter (6 Romane)
ein helles, metallisches Klappern.
Ravens Hand glitt von ihrem Mund. Janice atmete seufzend ein und sah ihn anklagend an. »Willst du mich umbringen?«, fragte sie leise.
Raven schüttelte ärgerlich den Kopf. »Ruhig!«
Das Geräusch kam näher. Es hörte sich an wie Hufschlag. Der Hufschlag von einem Dutzend oder mehr Pferden.
Janice richtete sich verblüfft auf. Auf Ravens Gesicht lag ein angespannter, gleichzeitig ungläubiger und ängstlicher Ausdruck. Sein Blick hatte sich an irgendetwas jenseits der Mauer festgesaugt. Seine Lippen bebten, als kämpfe er mit äußerster Kraft um seine Beherrschung.
Janice schob vorsichtig den Kopf über die Mauer. Das Geräusch der Pferde war jetzt ganz nahe. Sie hatte richtig geschätzt. Es war etwa ein Dutzend Reiter, die in einem eng zusammengedrängten Pulk die Straße heruntergaloppierten. Aber es dauerte noch einmal Sekunden, ehe Janice begriff, woran sie die massigen, dunklen Silhouetten erinnerten. Silhouetten, die sich wie schwarze Scherenschnitte gegen den Nachthimmel abhoben, die Umrisse riesiger, breitschultriger Körper, die in weite, wehende Umhänge gehüllt und mit mächtigen Hörnerhelmen bekrönt waren. Sie selbst hatte sie niemals gesehen, aber Raven hatte ihr die Gestalt bis ins Kleinste beschrieben.
Janice drehte mühsam den Kopf und sah Raven ungläubig an. »Das sind ...?«
Raven nickte verkrampft. »Schattenreiter«, flüsterte er heiser. »Es sind Schattenreiter.« Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, und sein Blick war immer noch auf die Stelle gerichtet, an der die beiden Reiter verschwunden waren. »Das war es also«, flüsterte er.
»Was?«
»Ich habe es die ganze Zeit gespürt.«
»Du wusstest, dass diese - diese Dinger hier sind?«, fragte Janice.
»Ich habe gefühlt, dass irgendetwas passieren würde«, antwortete Raven. »Ich habe es die ganze Zeit gespürt.«
Er sprang plötzlich auf, riss Janice auf die Füße und sprang mit einem Satz über die Mauer.
»Wir müssen weg hier! Sie werden wiederkommen. Verdammt noch mal - ich habe die ganze Zeit geglaubt, dass es nur eines dieser Wesen gegeben hat. Aber das stimmt nicht. Es war nur eines von vielen!«
Ravens Stimme schwankte. In seinen Augen flackerte das Grauen.
»Wir müssen weg!«
»Natürlich müssen wir das«, entgegnete Janice mit erzwungener Ruhe. »Aber zuallererst musst du dich beruhigen. Du zitterst ja vor Angst.«
Raven lachte humorlos auf. »Du hast diese Bestie nicht gesehen, Janice! Ein einziger von diesen Dämonen hat ausgereicht, um ganz London zu terrorisieren - und jetzt ist ein Dutzend hier! Sie sind hinter mir her, Janice. Verstehst du mich? Hinter mir!«
»Du glaubst ...?«
»Ich weiß es!«, fiel ihr Raven ins Wort. »Ich habe die ganze Zeit gespürt, dass sie kommen. Sie wollen sich rächen. Wahrscheinlich hat es vor mir noch keiner gewagt, sich ihnen so offen entgegenzustellen!
»Und was willst du jetzt tun?«
Raven schluckte nervös. Sein Blick richtete sich angstvoll auf die Straße hinter Janice' Rücken. »Ich weiß es nicht. Aber wir müssen weg. Weg von dieser verdammten Insel! Hier sitzen wir in der Falle. Komm!« Er fuhr herum, riss Janice mit sich und begann die Straße hinunterzulaufen.
Janice folgte ihm stolpernd. Sie hatte Raven noch nie so erlebt wie jetzt. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, erlebte sie, dass er Angst hatte. Mehr noch - sein Verhalten grenzte an Hysterie.
»Verdammt noch mal - bleib stehen!« Sie riss Raven am Arm herum, verlor das Gleichgewicht und hielt sich im letzten Augenblick an seiner Jacke fest.
»Es hat überhaupt keinen Sinn wegzulaufen«, sagte sie, während sie sich mühsam wieder aufrichtete.
Ravens Gesicht zuckte. Er stieß sie grob von sich, trat einen halben Schritt zurück und hob die Hand. Für einen winzigen Moment sah es so aus, als wolle er sie schlagen.
Aber dann entspannte er sich wieder, und auf seinen Zügen erschien ein betroffener, schuldbewusster Ausdruck.
»Verzeih«, sagte er leise. »Ich habe die Nerven verloren. Es tut mir leid.«
Janice schüttelte wütend den Kopf. »Es braucht dir nicht leidzutun. Aber du tust dir selbst keinen Gefallen, wenn du in blinder Panik davonrennst.«
Sie bückte sich, zog ihren Schuh aus und betrachtete kritisch den Absatz, während sie auf einem Bein balancierte und sich erneut an Ravens Jacke festhielt.
»Der ist hin. Abgebrochen. Man sollte in solchen Schuhen keine Rekordversuche im Dauerlauf unternehmen. Bist du eigentlich sicher, dass es
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