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Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Titel: Raven - Schattenreiter (6 Romane) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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genauer zu betrachten. Der Mann hatte das Gesicht eines Greises, aber den Körper eines jungen Gottes. Die Hände, die aus den weiten Ärmeln seines Umhanges hervorstanden, waren kräftig und stark, und seine Bewegungen zeugten von Geschmeidigkeit und jugendlicher Kraft.
    Der Blick des Assassinen senkte sich und bohrte sich für einen Moment in ihre Augen. Janice stöhnte auf. Die Augen des Assassinen waren schwarz - vollkommen. Groß, dicht beieinanderstehend und ohne sichtbare Pupille oder Iris, wirkten sie wie zwei bodenlose Schächte, die in den Schädel des Alten hineinführten. Das waren keine menschlichen Augen, sondern die Augen eines Ungeheuers!
    »Nun zu dir.« Die Lippen des Alten verzogen sich zu einem dünnen, grausamen Lächeln. Er starrte sie sekundenlang wortlos an, sprang dann von seinem erhöhten Thron herunter und kam mit federnden Schritten auf sie zu. Sein langes weißes Haar umrahmte den kantigen Schädel wie ein im Wind flatternder Umhang.
    »Ich hoffe, du bist dir der Ehre bewusst, Janice«, sagte er höhnisch. »Du bist die erste Sterbliche, die mein Reich betritt. Aber du wirst es nicht wieder verlassen.« Er lachte meckernd. »Jedenfalls wirst du dann nicht mehr die sein, die du warst.«
    Janice schauderte. Sie wusste nicht genau, was der Alte mit seinen Worten gemeint hatte. Aber sie hatte das Gefühl, dass das, was der Assassine ihr zugedacht hatte, schlimmer sein würde als der Tod.
    »Aber noch ist es nicht so weit«, fuhr der Alte im Plauderton fort. »Zuerst wirst du uns helfen, deinen Freund zu fangen.«
    »Raven? Er ist - hier?«, entfuhr es Janice.
    Der Assassine nickte triumphierend. »Er war dumm genug, dir zu folgen. Wir mussten uns nicht einmal die Mühe machen, ihm eine Falle zu stellen. Er ist freiwillig gekommen. Und du wirst mir dabei helfen, ihm endgültig das zuteilwerden zu lassen, was ihm gebührt.«
    Janice wunderte sich fast selbst, woher sie den Mut nahm, dem Alten weiter ins Gesicht zu blicken. Sie schluckte schwer, schüttelte mühsam den Kopf und stand schwerfällig auf.
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie.
    Der Alte lächelte böse. »So?«
    »Du kannst mich nicht zwingen«, sagte Janice tapfer.
    »Bist du sicher?«
    Janice nickte. Ihre Finger zitterten so stark, dass sie die Hände gegen die Schenkel pressen musste, aber die Angst in ihrem Inneren wurde allmählich von Trotz verdrängt. »Du kannst mich vielleicht umbringen«, sagte sie, »aber du kannst mich nicht zwingen, dir dabei zu helfen, Raven zu töten.«
    »Kann ich das nicht?« Der Alte machte eine beiläufige Handbewegung. Ein Schattenreiter trat hinter Janice, drehte ihr die Arme auf den Rücken und zwang sie erneut auf die Knie.
    »Ich kann dich zwingen, zu was immer ich will«, sagte der Assassine ruhig.
    Janice lachte trotzig. »Versuche es! Du kannst mich foltern, wenn du willst, aber ...«
    »Das wird nicht nötig sein«, fuhr ihr der Assassine ins Wort. »Es gibt andere Methoden, einen Menschen gefügig zu machen. Bessere. Vor mir sind schon Männer auf den Knien gekrochen und haben mich angefleht, sie zu töten. Und du glaubst, mir widerstehen zu können?«
    Er lachte hoch und schrill und warf den Kopf in den Nacken.
    »Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, Janice - deinen Mut oder deine Dummheit«, fuhr er nach einer Weile fort. »Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen - ich habe nicht vor, dich zu foltern.«
    Er schwieg einen Moment und ließ seinen Blick nachdenklich über Janice' Körper gleiten. Seine unmenschlichen Augen schienen gierig aufzuflammen.
    »Dein Leib wäre viel zu schön, um entstellt zu werden. Vielleicht«, erklärte er mit spöttischem Kichern, »finden wir noch eine bessere Verwendung dafür. Nein, Janice. Du wirst mir freiwillig helfen, diesen Narren zu vernichten. Und du wirst es sogar gern tun. Schon in wenigen Stunden wirst du meine treu ergebene Dienerin sein.«
    Er atmete hörbar ein, drehte sich dann mit einem Ruck um und ging zu seinem Thron zurück.
    »Schafft sie fort!«, befahl er barsch.
    Janice wurde grob hochgerissen und mit einem unsanften Stoß in Richtung Tür getrieben.
    »Bringt sie in die Halle der Särge«, befahl der Alte. »Danach kommt ihr wieder. Wir müssen noch einige Vorbereitungen treffen, um unseren Freund gebührend zu empfangen.«
    Card atmete hörbar auf, als er den Laufsteg verlassen und das schwankende Deck der Fähre gegen das solide Kopfsteinpflaster des Hafens eingetauscht hatte. Die Überfahrt war stürmisch gewesen.

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