Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Janice aufgestanden war, und näherte sich ihr dann abermals.
»Ich gebe dir Zeit, dir deine Antwort zu überlegen«, sagte er. Seine Stimme zitterte vor Gier.
Janice schüttelte trotzig den Kopf. »Nie«, sagte sie überzeugt.
»Ich biete dir ein ewiges Leben. Ewige Jugend. Ewige Schönheit. Ich kann dir die Schönheit einer Göttin geben, Janice.«
»An deiner Seite?« Janice lachte humorlos. »Lieber sterbe ich, ehe ich mein Leben an der Seite eines schmierigen alten Mannes verbringe.«
Sie bemerkte an der Reaktion auf seinem Gesicht, dass ihn die Worte getroffen hatten. Seine Züge verhärteten sich. Seine Stimme klang verändert, als er wieder sprach. »Nun gut. Wie du willst. Ich gebe dir eine letzte Chance.«
»Spar dir die Mühe! Ich ...«
Der Alte unterbrach sie mit einer entschlossenen Handbewegung. »Sprich nicht weiter! Sieh dorthin!« Er deutete auf die Wand hinter Janice.
Sie drehte sich um und folgte seinem ausgestreckten Finger. Ihr Blick fiel auf einen großen, goldgerahmten Spiegel, der vor wenigen Augenblicken noch nicht dort gehangen hatte.
»Sieh!«
Die Oberfläche des Spiegels begann sich zu wellen. Graue Schlieren kochten unter dem polierten Glas, es wurde matt, dann schwarz, schließlich wieder durchsichtig.
Aber es war kein Spiegel mehr. Janice hatte den Eindruck, durch ein Fenster in einen schmalen, dunklen Stollen zu blicken. Eine Gestalt erschien in dem Spiegel - groß, schlank, in einen wallenden schwarzen Umhang gekleidet. In der Linken trug sie einen großen, dreieckigen Schild, während die Rechte ein schweres Schwert umklammerte. Auf dem Gesicht des Mannes lag ein angespannter, furchtsamer Ausdruck. Er sah sich immer wieder um und zögerte vor jeder Abzweigung weiterzugehen.
Es war Raven!
Der Assassine lachte meckernd. »Du erkennst ihn?«
Janice nickte. »Es ...«
»Dieser Narr hat meine Herausforderung angenommen«, kicherte der Alte. »Er glaubt wirklich, eine Chance gegen meine Diener zu haben. Und weißt du, warum er diesen aussichtslosen Kampf aufgenommen hat? Deinetwegen, Janice. Du bist der Preis in diesem Spiel. Er kämpft, um dich zu befreien!«
Janice fuhr herum und starrte den Alten wild an.
»Über lege dir deine Antwort gründlich«, sagte der Magier. Sein faltiges Gesicht verzog sich zu einem hässlichen triumphierenden Lachen. »Er hat keine Chance, diesen Kampf zu überstehen. Aber es liegt in deiner Macht, ihn zu retten.« Er machte eine hastige Bewegung, als Janice zu einer Antwort ansetzen wollte. »Sage nichts! Ich habe ihm vier Stunden gegeben, und ich gewähre dir die gleiche Frist.«
Er drehte sich um, ging zur Tür und öffnete sie. Sekunden später fiel das schwere Bronzeportal mit dumpfem Knall zu.
Sergeant Kemmler schwieg noch eine geraume Weile, nachdem Card mit seinem Bericht zu Ende war. Der Blick seiner großen, bebrillten Kinderaugen war die ganze Zeit unverwandt auf das Gesicht des Inspektors geheftet gewesen, aber der Ausdruck darin hatte sich von anfänglichem Unglauben zuerst in Staunen, dann in blankes Entsetzen gewandelt. Card hatte ihm die ganze Geschichte erzählt - beginnend mit seiner ersten Begegnung mit den Schattenreitern in London, ihrem verzweifelten Kampf, ihre Theorien, die auf so grausame Weise bestätigt worden waren ...
»Ich weiß, dass ich Ihnen glauben muss«, sagte Kemmler nach einer Weile. Seine Stimme war so leise, dass Card Mühe hatte, die Worte zu verstehen. »Aber es fällt mir schwer. Trotz allem.« Er schüttelte den Kopf, seufzte und trat dicht an die Couch mit dem immer noch bewusstlosen Schattenreiter heran.
Das Gesicht des Unheimlichen war zu einer Furcht einflößenden Maske geworden. Die breiten, wulstigen Lippen waren etwas geöffnet und entblößten eine Doppelreihe nadelspitzer schwarzer Zähne. Die Schulterwunde war immer noch nicht geschlossen. Aus dem gezackten Loch, das die Kugel in seinen Harnisch geschlagen hatte, sickerte ein dünner Blutfaden. Seine Hände bewegten sich unruhig.
»Seien Sie vorsichtig, Kemmler«, sagte Card. »Diese Wesen sind unberechenbar. Ich würde mich nicht unbedingt auf die Handschellen verlassen.«
Kemmler starrte einen Herzschlag lang auf die massive stählerne Acht, die die Handgelenke des Dämons fesselte, und trat dann einen halben Schritt zurück.
»Was haben Sie mit ihm vor?«, fragte Card.
Kemmler zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, Inspektor - ich habe keine Ahnung.« Er lächelte unglücklich. »Soviel ich weiß, gibt es in der
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