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Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Titel: Raven - Schattenreiter (6 Romane) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hinweggefegt.
    Merlin trat mit raschen Schritten auf ihn zu und berührte ihn flüchtig an der Stirn.
    Wilburn schrie auf und taumelte zurück. Seine Erinnerungen waren schlagartig wieder da.
    »Nein!«, keuchte er. »Nicht das! Warum - warum hast du das getan?«
    »Es ist niemandem etwas geschehen«, sagte Merlin ruhig.
    »Aber ich habe es doch gesehen!«, widersprach Wilburn. »Die Flammen und - und all die brennenden Menschen und ...« Er brach ab, überwältigt von den Bildern, die mit Macht in sein Bewusstsein drängten. Bilder von schreienden Menschen, die durch das Treppenhaus hetzten und ihre brennenden Kleider zu löschen versuchten, die Erinnerung an die gewaltige Flammenwand, die wie ein Vorschlaghammer durch das Gebäude gerast war ...
    »Es ist niemandem etwas geschehen«, wiederholte Merlin ruhig. »Nur den beiden Mördern, die hinter dir her waren. Sie haben ihre gerechte Strafe erhalten, mehr nicht.«
    »Gerecht?« Wilburn wich vor dem Magier zurück. Plötzlich erfüllte ihn der Anblick der kleinen, schmalschultrigen Gestalt mit Abscheu und Furcht. »Gerecht? Und all die Unschuldigen, die in den Flammen umgekommen sind?«
    »Es ist niemand umgekommen, Wilburn«, widersprach Merlin ruhig. »Es hat kein Feuer gegeben. Kein Unschuldiger kam zu Schaden. Sieh dich an! Auch du bist unverletzt, obwohl du im Zentrum des Feuers warst, das du zu sehen glaubtest.«
    »Aber ...« Wilburn begann zu stottern und brach verwundert ab. »Aber ich habe es doch gesehen«, murmelte er.
    Merlin lächelte. »Nicht alles, was man zu sehen glaubt, ist auch wahr«, sagte er geheimnisvoll. »Das, was ihr Menschen Wirklichkeit nennt, ist nichts als ein dünner, verwundbarer Schleier, hinter dem das Wunderbare wartet. Was ihr Menschen Magie nennt, ist nichts anderes als die Fähigkeit, diesen Schleier an den richtigen Stellen und im richtigen Moment zu durchbrechen. Sieh dich an, Wilburn. Du fühlst dich frisch und wohl, nicht wahr?«
    Wilburn nickte zaghaft. Er fühlte sich tatsächlich frisch wie lange nicht mehr. Jetzt, als er darüber nachdachte, fiel ihm plötzlich auf, wie gut er sich fühlte. All die kleinen Schmerzen und Unbequemlichkeiten, die ein verbrauchter Körper seines Alters nun mal mit sich brachte, waren verschwunden. Er fühlte sich nicht nur frisch, sondern um Jahre jünger, wenn nicht um Jahrzehnte.
    »Und doch denken deine Mitmenschen, dass du tot bist«, sagte Merlin mit leisem Lachen.
    Wilburn erschrak. »Sie denken ...«
    »Ich habe dafür gesorgt, dass sie dich für tot halten«, sagte Merlin, als spräche er über die einfachste Sache der Welt. »Die Anwesenheit der beiden Männer, vor denen ich dich gerettet habe, beweist, dass es besser ist.«
    Wilburn schüttelte verwirrt den Kopf. Er verstand immer noch nicht, was Merlin mit seinen Worten meinte, aber er kam nicht dazu, eine entsprechende Frage zu stellen.
    »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, fuhr Merlin fort. Er kam näher, und Wilburn bemerkte mit plötzlichem Schrecken, wie sehr sich der Magier verändert hatte. Sein Gesicht wirkte eingefallen und grau, die Haut rissig und porös, mit dunklen Leichenflecken durchsetzt.
    »Du hast Recht«, sagte Merlin. »Meine Zeit läuft ab. Meine und eure. Ich bin gekommen, weil du in Not warst, aber deine Rettung hat mich mehr Kraft gekostet, als ich verantworten kann. Von nun an wirst du allein vorgehen müssen. Aber ich habe dafür gesorgt, dass du sicher bist. Deine Feinde halten dich für tot.«
    »Aber ...«, stotterte Wilburn hastig, »aber ich habe noch nichts erreicht.«
    »Ich weiß«, sagte Merlin traurig. »Um so wichtiger ist es, dass du dich beeilst. Ich kann das Böse in mir nicht mehr lange beherrschen. Nicht hier.«
    »Aber wohin willst du gehen?«
    »Nirgendwohin, wohin du mir folgen könntest«, sagte der Magier ausweichend. »Aber ich werde da sein, wenn du das Buch gefunden hast. Und nun beeile dich! Geh!« Seine Gestalt begann durchsichtig zu werden, sich aufzulösen und zu verschwinden wie ein flüchtiges Trugbild.
    »Warte!«, keuchte Wilburn. »Du hast mir noch nicht gesagt, wo ich dich wiederfinde.«
    »Hier!« Merlins Stimme war zu einem dünnen Wispern geworden, das im leisen Heulen des Windes beinahe unterging. »Komm hierher, wenn du deine Aufgabe erfüllt hast!«
    Wilburn starrte die Stelle, an der der Magier gestanden hatte, noch lange an. Dann drehte er sich um und ging langsam über die Gleise zurück.
    Was hatte Merlin gesagt?
    Ich habe dafür gesorgt, dass du sicher bist

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