Raven - Schattenreiter (6 Romane)
von Geistern und Dämonen ab, aber er wusste, dass gerade im Orient der Gebrauch von Drogen und Halluzinogenen weit verbreitet war. Es war gut möglich, dass die beiden jungen Männer damals Opfer eines gut inszenierten Schauspiels geworden waren. Und schließlich hatte der Schattenreiter - wer immer sich auch hinter dieser Maskerade verbarg - bereits einen Teil seiner Drohung wahr gemacht. Pendrose war tot, und es bestand kein logischer Grund anzunehmen, dass der Mörder nicht ein zweites Mal zuschlagen sollte.
Oder, fügte Raven in Gedanken hinzu, dass Candley durch den Mord an seinem Cousin dermaßen eingeschüchtert war, dass er seinerseits zum Mörder wurde.
Der Gedanke an einen zweiten Jack the Ripper, der nachts durch die Londoner Straßen schlich und Menschen hinrichtete, ließ Raven schaudern.
Er fuhr eine Weile ziellos durch die Stadt, ehe er schließlich die Universitätsbibliothek ansteuerte.
Wenn er einen Gegner bekämpfen wollte, musste er ihn vorher kennen.
Er parkte den Wagen in der Tiefgarage, stieg aus und ging in die Bibliotheksräume hinauf. Er wusste selbst nicht genau, was er suchte, und die schier unüberschaubare Anzahl der Bücher über Magie und Hexenkunst, die er vorfand, deprimierte ihn zusätzlich. Aber er hatte Anhaltspunkte, wenn auch nicht viele.
Er wählte aus der Liste der entsprechenden Bände gut zwei Dutzend aus und saß schließlich ziemlich mutlos vor einem riesigen Berg uralter Folianten, die - um das Maß voll zu machen - zum Teil noch in einem alten, beinahe unverständlichen Englisch abgefasst waren. Schließlich zuckte er fatalistisch mit den Schultern, lockerte seine Krawatte und machte sich an die Arbeit.
Es dauerte Stunden, bis er die erste Spur fand. Gerade über die Gegend, in der Paul und Jeffrey damals gewesen waren, gab es buchstäblich Hunderte von Sagen und Legenden, und in den meisten spielten Reiter eine entscheidende Rolle. Raven begriff nach und nach, wie kompliziert die Materie war, mit der er sich vertraut machen musste. Aber er gab nicht auf. Es musste irgendwo einen Hinweis geben, irgendeine Sage oder Legende, die sich mit dem Schattenreiter befasste.
Und schließlich fand er, wonach er gesucht hatte.
Der Alte vom Berg.
Der Assassine.
Es gab eine Legende, wonach in den unwegsamen Bergen am Chad-el-arab ein alter Magier sein Unwesen trieb, ein uralter, von bösen Mächten besessener Mann, dessen Leben nie endete, solange ihm Menschenopfer gebracht wurden.
Der Assassine. Wörtlich übersetzt bedeutete dieses Wort Mörder. Und seine Schergen waren dunkle, schattenhafte Reiter, die das Land früher mit Mord und Terror überzogen hatten, bis - der Sage nach - ein Prinz aus dem Norden gekommen war, der die dunklen Horden vernichtet und den Alten in sein Versteck in die Berge zurückgetrieben hatte.
Vierundzwanzig Stunden früher hätte Raven noch über diese Geschichte gelacht. Aber mittlerweile war viel geschehen, und Raven hatte Dinge erlebt, die mit menschlicher Logik nicht zu erklären waren.
Seine Augen waren gerötet und brannten, als er die Bücher zurückgab und die Bibliothek verließ. Er war jetzt sicher, dass Pendrose die Wahrheit gesagt hatte.
Und er wusste, dass sich der Schattenreiter sein nächstes Opfer holen würde, wenn er es nicht verhinderte.
Er wusste nur noch nicht, wie er - Raven - das bewerkstelligen sollte ...
Jeffrey starrte die geschlossenen Lifttüren noch lange an, nachdem die Polizisten wieder gegangen waren.
Paul war tot.
Er hatte die Fragen der Beamten genau und gewissenhaft beantwortet, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was er gesagt hatte. Er wusste nicht einmal mehr den Namen des Inspektors. Er hatte die Antworten wie in Trance gegeben, wie ein Automat, der auf Knopfdruck reagiert, aber seine Gedanken waren immer wieder um diese drei Worte gekreist.
Paul war tot.
Tot!
Der Schattenreiter hatte sein erstes Opfer gefunden.
Jeffreys Hoffnungen, doch noch eine Lösung zu finden, den Teufelskreis, in dem er gefangen war, irgendwie zu durchbrechen, waren wie Glas zersprungen. Das Grauen hatte ihn endgültig eingeholt. Er hatte sich mit Mächten eingelassen, die für den Menschen verboten waren, und nun musste er den Preis dafür bezahlen.
Der Inspektor hatte gesagt, dass er noch keine Spur des Mörders hatte, aber Jeffrey wusste nur zu genau, wer seinen Cousin getötet hatte.
Der Schattenreiter. Es war eine Warnung gewesen, eine unmissverständliche Drohung, die ihm, Jeffrey,
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