Raven - Schattenreiter (6 Romane)
galt. Der Dämon spaßte nicht, und das, was Paul passiert war, würde auch ihm - Jeffrey - zustoßen, wenn er nicht bereit war, seinen Teil der Abmachung zu erfüllen.
Sein Blick wanderte wieder zu dem Dolch, der harmlos und schön über der Bar hing, dann zur Tür des Gästezimmers, in dem Carol immer noch schlief.
Es wurde Zeit, dass er sie weckte.
Mit steifen, hölzernen Bewegungen ging er zum Gästezimmer hinüber und öffnete die Tür.
Sie war wach.
Sie saß angezogen auf der Bettkante, und in ihren weit aufgerissenen Augen stand ein seltsamer Ausdruck. Trauer? Mitleid?
»Du - hast alles gehört?«, fragte er.
Sie nickte. »Ja. Es - es tut mir leid um deinen Cousin.«
»Er war mehr als nur mein Cousin«, antwortete Jeffrey leise. »Wir waren Freunde. Gute Freunde, weißt du.«
Sie stand auf, kam mit ein paar Schritten um das Bett herum und schmiegte sich eng an ihn. Er spürte die Wärme ihres Körpers, den sanften Duft ihrer Haare. Es tat gut zu wissen, dass es einen Menschen gab, der mit ihm litt.
»Wenn du lieber allein sein willst, gehe ich jetzt«, flüsterte Carol.
»Nein. Ich - bleib ruhig. Ich bin froh, wenn jemand da ist.« Er schob sie ein Stück von sich und versuchte zu lächeln. »Unser gemeinsames Wochenende fällt wohl leider ins Wasser«, sagte er dumpf. »Ich muss mich zur Verfügung halten, hat dieser Inspektor gesagt.«
»Warum?«
Jeffrey zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Vielleicht brauchen sie noch weitere Informationen.«
»Sie haben Angst, dass dir auch etwas passiert, nicht?«
Er zuckte erneut mit den Schultern. »Vielleicht. Du weißt ja, wie diese Polizisten sind: Sie wittern an jeder Ecke Verschwörung und Verrat. Aber mir passiert nichts. Ich habe keine Feinde.«
»Hatte Paul welche?«
»Scheinbar.« Er ließ sie los, drehte sich um und ging ins Wohnzimmer. »Ich brauche jetzt etwas zu trinken.«
»Er hatte einen Privatdetektiv engagiert, nicht?«, fragte Carol.
Jeffrey nickte.
»Vielleicht solltest du den einmal aufsuchen. Paul hat ihm sicher erzählt, wovor er sich fürchtete, und ...« Sie verstummte, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Du - du weißt, wovor er Angst gehabt hat, nicht wahr?«
Jeffrey antwortete nicht sofort. »Du bist wirklich eine gute Beobachterin«, sagte er nach einer Weile.
»Du weißt auch, wer ihn ermordet hat, nicht?«, fuhr Carol mit zitternder Stimme fort. »Jeff - sag mir die Wahrheit: Bist du auch in Gefahr?«
»Nein. Ich weiß, was Paul zugestoßen ist, aber mir wird nichts passieren.«
»Warum sagst du es dann nicht der Polizei?«
Jeffrey lachte. »Der Polizei? Es gibt Dinge, bei denen einem die Polizei nicht helfen kann«, sagte er leise. »Aber mach dir keine Sorgen! Wir sind hier in Sicherheit. Mir wird nichts geschehen. Ich werde nicht den gleichen Fehler begehen wie Paul. Er ist an seinem Schicksal selbst schuld.«
»Das hört sich - grausam an«, sagte Carol stockend.
»Es ist grausam«, nickte Jeffrey. Er leerte sein Glas in einem Zug, goss sich ein neues ein und trank diesmal langsamer. »Ich möchte jetzt nicht davon reden, Carol. Vielleicht erzähle ich es dir später einmal. Jetzt nicht, bitte!«
Sie nickte. »Natürlich.«
»Ich bin hungrig«, sagte Jeffrey plötzlich. »Sei ein Schatz und hol aus dem Restaurant im Erdgeschoss eine Kleinigkeit für uns, ja?«
Sie zögerte, nickte schließlich und ging zum Lift. Die Türhälften glitten geräuschlos hinter ihr zu, und das grüne Licht neben der Kabine erlosch.
Jeffrey war allein.
Allein! Er begriff plötzlich, was das Wort bedeutete. In den zwei Jahren, in denen er kometenhaft Karriere gemacht hatte, war er immer allein gewesen. Es hatte eigentlich nie einen Menschen gegeben, mit dem ihn wirklich etwas verbunden hatte. Er hatte von Anfang an nur zwei Sorten von Menschen gekannt: Vorgesetzte und Untergebene. Die Vorgesetzten waren weniger geworden, je steiler sein Aufstieg wurde, und für eine kurze Zeit hatte er wirklich geglaubt, dass Reichtum und Macht alles war, was ein Mann brauchte.
Aber das stimmte nicht.
Paul war der einzige Mensch gewesen, der ihm etwas bedeutet hatte. Aber auch das hatte er erst jetzt begriffen, da es zu spät war. Paul - und Carol.
Er begriff plötzlich, dass er dieses Mädchen liebte. Pauls Tod hatte eine schmerzliche Lücke in seinem Leben hinterlassen, aber die Wunde, die Carol hinterlassen würde, würde ungleich größer sein.
Er konnte sie nicht töten.
Und er würde nicht zulassen, dass ihr irgendjemand etwas
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