Raven - Schattenreiter (6 Romane)
alles.«
»Und jetzt wirst du hingehen und es ihm sagen, wie?«, fragte der Schläger lauernd.
Raven schluckte. »Ich - ich glaube nicht«, sagte er unsicher. »Vielleicht ist es besser, wenn ich den Auftrag ... zurückgebe. Schließlich geht es mich nichts an, mit wem seine Frau ihre Nächte verbringt.«
»Da hast du Recht«, feixte der Schläger. »Das geht dich wirklich nichts an.« Er seufzte, tauschte einen langen Blick mit seinem Kumpan und schüttelte den Kopf. »Das Schlimme ist nur«, sagte er in bedauerndem Tonfall, »dass ich nicht weiß, ob du die Wahrheit sagst oder uns belügst.«
Raven lächelte unsicher. »Aber ich - ich würde euch doch nie belügen, Jungs«, stammelte er. »Wirklich. Ich werde Perkins sofort anrufen und ihm sagen, dass er sich getäuscht hat.«
»Ich würde dir ja gerne glauben«, erwiderte der Gangster, »aber die Welt ist voller schlechter Leute, weißt du? Heutzutage sagt doch kaum noch einer die Wahrheit. Woher weiß ich, dass du uns nicht belügst?«
Ravens Blick irrte verzweifelt zwischen den beiden Schlägern hin und her. Er hatte genug Erfahrungen mit der Unterwelt, um zu wissen, dass er es hier mit zwei Profis zu tun hatte. Die beiden sahen ganz so aus, als könnte es jeder von ihnen allein mit ihm aufnehmen. Und sie hatten ihn in der Falle. Hinter ihm war nichts als die Dachkante, fünfzehn Meter Luft und das harte Pflaster des Bürgersteigs tief unter ihm, und der einzige Fluchtweg - die schmale Feuertreppe, über die er gekommen war - lag unerreichbar zehn Meter hinter Marcs Rücken.
»Aber vielleicht können wir dir ja doch trauen«, fuhr der Gangster mit einem dünnen Grinsen fort. »Dieses eine Mal noch. Du hast so ein ehrliches Gesicht, weißt du? Ich glaube, wenn du uns dein Ehrenwort gibst, nichts zu verraten, dann machen wir eine Ausnahme und lassen dich laufen. Das heißt, nachdem wir dir einen kleinen Denkzettel verpasst haben. Nur, damit du uns auch nicht vergisst.«
Raven reagierte einen Sekundenbruchteil zu spät. Er sah den Schlag kommen, aber er begriff erst, dass es eine Finte war, als der Fuß des Gangsters seine Kniescheibe traf. Er schrie auf, brach in die Knie und verbarg in einer instinktiven Bewegung den Kopf zwischen den Armen.
Er hatte mit seiner Vermutung Recht gehabt - die beiden waren Profis. Sie brauchten nicht einmal zwanzig Sekunden, um ihn so zusammenzuschlagen, dass er sich nur noch mit letzter Kraft gegen die Bewusstlosigkeit wehren konnte. Ein Hagel von Schlägen traf ihn an Kopf und Körper. Er krümmte sich, stöhnte verzweifelt und versuchte kraftlos, die Schläge der beiden Gangster abzuwehren.
Irgendwann, nach fünfzehn, zwanzig Sekunden, die ihm wie Ewigkeiten vorkamen, hörte es auf. Einer der beiden riss ihn an den Haaren in die Höhe, versetzte ihm einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht und stieß ihn wieder zu Boden. Raven schlug mit dem Hinterkopf irgendwo auf und versuchte, durch die wogenden Schleier vor seinen Augen etwas zu erkennen.
»So, Kleiner«, drang die Stimme des Schlägers an sein Ohr. »Ich hoffe, das reicht als Warnung. Wenn wir dich noch einmal dabei erwischen, wie du hier rumschnüffelst, machen wir ernst. Hast du das verstanden?«
Raven nickte mühsam. Er wollte etwas sagen, aber seine Stimmbänder verweigerten ihm den Dienst, und in seiner Kehle war plötzlich bitterer, metallischer Blutgeschmack. Er merkte kaum, wie sich die beiden Schläger umdrehten und das Dach auf demselben Weg wieder verließen, auf dem sie gekommen waren.
Es dauerte lange, bis Raven seine Muskeln wieder so weit unter Kontrolle hatte, dass er sich herumwälzen und mühsam aufstehen konnte. Seine Knie zitterten. Blut lief über sein Gesicht und sickerte unter seinen Kragen. Er wankte, fuhr sich stöhnend mit den Händen über die Schläfen und versuchte die Tränen aus den Augen wegzublinzeln. Sekundenlang stand er reglos da und wartete, dass der Schmerz in seinen Rippen abflaute. Er hatte trotz allem Glück gehabt. Die beiden Schläger hätten ihn genauso gut kurzerhand vom Dach werfen können.
Er nahm die Hände hinunter, sah sich niedergeschlagen um und begann fluchend, die Überreste seiner Kamera einzusammeln. Was ihm Perkins erzählen würde, wenn er ihn am nächsten Morgen anrief und den Auftrag zurückgab, wagte er sich lieber noch nicht vorzustellen.
Wenige Augenblicke später befand er sich auf der rostigen Feuerleiter und auf dem Weg nach unten.
Sein Wagen stand zwei Blocks weiter in einer Seitenstraße.
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