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Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Titel: Raven - Schattenreiter (6 Romane) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gehabt hatte.
    Schwer atmend blieb er stehen, presste den Rücken gegen die Wand und sah den Stollen hinab. In seinen Ohren rauschte das Blut. Er atmete ein paarmal keuchend ein und wartete darauf, dass sich sein hämmernder Herzschlag beruhigte.
    Der Stollen war leer, aber er wusste, dass das nichts bedeutete. Er hatte das Ding ein Dutzend Mal abgeschüttelt. Es lief nicht so schnell wie er, aber es schien keine Erschöpfung zu kennen. Er wusste, dass er verloren war.
    Er hatte längst die Orientierung verloren und wusste schon lange nicht mehr, wo er sich befand. Er kam sich vor wie eine Ratte, die im Labyrinth eines irrsinnigen Wissenschaftlers umherrannte und verzweifelt nach dem Ausgang suchte. Er würde ihn nicht finden. Irgendwann würde er einfach zusammenbrechen, oder das Ding würde den Spaß an dem grausamen Spiel verlieren, das es mit ihm trieb, und plötzlich aus dem Schatten einer Nische auftauchen, mit seinen gigantischen Pranken nach ihm greifen und ihm das Genick brechen, ihn töten, wie es Hammersmith getötet hatte.
    »Nein«, wisperte eine Stimme in seinem Inneren.
    Stone fuhr mit einem krächzenden Aufschrei herum. Es dauerte lange, bis er begriff, dass er das Wort nicht gehört hatte, sondern dass es irgendwo in ihm, in ihm selbst, entstanden war.
    Er begann zu zittern, presste sich noch enger gegen die Wand und starrte aus angstvoll aufgerissenen Augen in die brodelnde Finsternis vor sich. Er wollte fortlaufen, aber es ging nicht. Sein Körper war erstarrt, gelähmt, von einer unsichtbaren, ungeheuer starken Macht gefangen. Ein leises, schabendes Geräusch drang aus dem Stollen zu ihm, dann etwas wie ein Tapsen schwerer, ungelenker Schritte ...
    Das Ungeheuer!, dachte er verzweifelt. Es war da! Es kam, ihn zu holen, ihn umzubringen!
    »Nein«, sagte die Stimme noch einmal.
    Stone stieß einen gellenden, unmenschlichen Schrei aus, brach in die Knie und krümmte sich zusammen. Er brüllte, wälzte sich auf dem feuchten Steinboden und presste die Handflächen gegen die Schläfen. Aber die Stimme in seinem Inneren sprach weiter.
    »Du bist nicht in Gefahr. Er wird dir nichts tun.«
    Die Schritte kamen näher, langsam, schwerfällig, aber unaufhaltsam. Stone wälzte sich auf den Rücken, kroch über den abschüssigen Boden und starrte verzweifelt dorthin, woher die Schritte kamen. Etwas Gigantisches, Dunkles bewegte sich dort vorne, ein riesiger, massiger Schatten, menschlich und doch unglaublich fremd, bizarr und böse.
    »Bleib!«, wisperte die Stimme. Sie klang jetzt eindeutig befehlend, und Stone spürte, wie sich in seinem Inneren etwas zu regen begann, etwas Uraltes und Böses, Mächtiges ...
    Langsam begann er Einzelheiten zu erkennen. Der Schatten gewann Tiefe, wurde zu einem gigantischen, schwarzgrünen Umriss, einem Wesen, nicht größer als ein Mensch, aber massiger, erfüllt von unmenschlicher Stärke und Wildheit.
    Plötzlich war seine Angst wie fortgeblasen. Er stand auf, ließ die Hände sinken und trat dem Ding ruhig entgegen.
    Das Ungeheuer machte noch einen Schritt, blieb dann stehen und sah ihn aus kleinen, erloschenen Augen an.
    Dann, ganz langsam, als müsse es sich mühsam auf die richtigen Bewegungen und Worte besinnen, ließ es sich auf die Knie herab und beugte den Schädel.
    »Herr ...«, murmelte es.
    Stone schwieg. Aber tief, tief in ihm, begann eine leise, dunkle Stimme zu lachen ...
    Das Haus stand in einer der vornehmsten Gegenden Londons. Es war ein hoher, dreigeschossiger Bau im Stil des ausklingenden achtzehnten Jahrhunderts, mit wuchtigen Mauern aus graubraunem Sandstein, großzügigen, geschwungenen Fenstern und dem obligaten Vorgarten, der sich hinter einem ebenso obligaten schmiedeeisernen Ziergitter verbarg. Die Zimmer im Erdgeschoss waren dunkel, aber hinter einem Fenster in der ersten Etage schimmerte Licht, und die Vorhänge waren nur zur Hälfte zugezogen, sodass jemand, der sich die Mühe machte, auf das Dach des gegenüberliegenden Hauses zu steigen, bequem hineinsehen konnte.
    Raven hatte sich die Mühe gemacht. Er hatte ein Übriges getan und außer der schweren Kameraausrüstung noch eine zusammengerollte Wolldecke, eine Thermoskanne voll heißem Kaffee und ein Paket mit Butterbroten heraufgeschleppt, um sich auf eine lange und kalte Nacht vorzubereiten.
    Im Augenblick allerdings hatte er berechtigte Zweifel daran, dass die Nacht noch sehr lange dauern würde; zumindest für ihn. Und die Kälte spürte er nicht mehr, als er sah, wie ein großer - ein

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