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Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Titel: Raven - Schattenreiter (6 Romane) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht für ihn bestimmt waren. Der Alte schien ganz in die Betrachtung des Buches vertieft zu sein und ihn kaum noch wahrzunehmen. »Es sieht aus, als habe hier jemand versucht, Worte einer vollkommen andersgearteten Sprache ins Englische zu übertragen.« Er sah auf, lächelte glücklich und schlug das Buch an der von Biggs' markierten Stelle auf. »Es muss eine sehr schöne Sprache gewesen sein«, murmelte er, »wie viele ausgestorbene Sprachen. Sehen Sie - dieser Vierzeiler zum Beispiel. Allein die Klangfarbe ... - Certain marule de carba - cashon sur bainerpec wal.«
    Irgendwo in Raven begann eine Alarmsirene zu schrillen. Er hatte plötzlich den Eindruck, diese Zeilen schon einmal gehört zu haben.
    »Es klingt schön, nicht wahr?«, sagte Wilburn begeistert. Er seufzte, fuhr mit den Fingerspitzen über das brüchige Pergament und zitierte weiter: »Thern deycron to par - whout leyson then shar.«
    Plötzlich wusste Raven, wieso ihm der Text so seltsam bekannt vorkam.
    Es war genau der Vierzeiler, vor dem Biggs ihn gewarnt hatte!
    Er schrie auf, riss Wilburn das Buch aus der Hand und klappte es mit einer wilden Bewegung zu.
    Aber es war zu spät. Wilburn hatte die verhängnisvolle Formel bereits ausgesprochen, ohne zu ahnen, was er damit heraufbeschwören konnte.
    Zehn, fünfzehn endlose Sekunden lang stand Raven wie gelähmt da und starrte den schmalbrüstigen Bibliothekar aus schreckgeweiteten Augen an.
    Aber es geschah nichts. Weder öffnete sich die Erde, um Feuer und Schwefel zu speien, noch taten sich die Pforten der Hölle auf, um ihre Dämonen auf die ahnungslose Menschheit loszulassen.
    »Was - was ist denn los?«, stotterte Wilburn. »Ich - ich habe doch nur ein Gedicht vorgelesen.«
    Langsam fiel die Spannung von Raven ab.
    Er war verrückt, sich auf die düsteren Prophezeiungen eines fiebernden alten Mannes zu verlassen. Wahrscheinlich hatte Biggs selbst nicht mehr gewusst, was er sagte.
    Die Formel war harmlos, eine alte Legende vielleicht, die im Laufe der Jahre immer mehr verbrämt und verfremdet worden war, bis ihr nur noch die Erinnerung an alte, dunkle Zeiten und blutige Riten anhaftete.
    Doch was, wenn die andere Formel genauso wirkungslos war, wenn sich Raven der tödlichen Klinge gegenübersah und feststellen musste, dass ...
    Raven verscheuchte den Gedanken mit einem ärgerlichen Achselzucken. Darüber konnte er sich Gedanken machen, wenn es so weit war.
    Er lächelte Wilburn entschuldigend zu und drehte sich um, um zu gehen. Aber so leicht ließ sich der andere nicht abwimmeln.
    »Hören Sie, Sir«, sagte er hastig. »Ich ... es tut mir leid, wenn ich etwas Falsches getan habe. Ich wusste nicht, dass ...«
    »Es ist schon gut«, sagte Raven besänftigend. »Sie können nichts dafür. Ich war nur plötzlich nervös. Mir ist etwas eingefallen ...« Er winkte ab. »Haben Sie trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe.«
    »Aber ich habe doch gar nichts gemacht«, widersprach Wilburn. Er hielt Raven am Jackenärmel fest und deutete auf das Buch. »Sie - sind sicher, dass Sie es nicht verkaufen wollen?«
    »Ganz sicher«, sagte Raven. »Außerdem gehört es mir nicht, wie Sie wissen.«
    »Ich könnte Professor Biggs anrufen und ihm einen guten Preis machen. Der Band ist äußerst wertvoll.«
    »Im Moment wird der Professor bestimmt nicht daran interessiert sein, über den Verkauf irgendwelcher Bücher zu verhandeln«, sagte Raven zweideutig. Er zögerte, streifte den Arm des Alten ab und steckte das Buch in die Tasche. »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Mr. Wilburn.« Als er die Enttäuschung im Gesicht des Bibliothekars sah, fügte er hinzu: »Ich werde mit Professor Biggs reden. Vielleicht überlässt er Ihnen den Band.«
    »Es wäre eine unglaubliche Bereicherung für unsere Sammlung.«
    Raven lächelte, drehte sich um und ging mit schnellen Schritten davon, ehe Wilburn es sich anders überlegen und weiter in ihn dringen konnte.
    Er atmete unwillkürlich auf, als er die Bibliothek verließ und zu seinem Wagen ging. Die Luft dort drinnen war ihm plötzlich stickig und warm geworden. Irgendetwas Drohendes, Düsteres schien sich zwischen den schmalen Gängen aufgebaut zu haben.
    Raven schrieb das Gefühl seiner Nervosität zu und versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er war keinen Schritt weitergekommen. Das hieß - einen Schritt schon. Nur in die falsche Richtung. Eine der beiden Formeln hatte sich als wirkungslos erwiesen.
    Blieb nur zu hoffen, dass wenigstens die andere

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