Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Aussage eines Toten. Thompsons Rechtsverdreher wird sie vor Gericht zerpflücken. Ich kann von Glück sagen, wenn ich mich nicht bei dieser Ratte entschuldigen muss.« Er brach ab, atmete hörbar ein und steckte sich eine Zigarette an. »Aber ich habe eine angenehme Neuigkeit für Sie. Der Yard hat eine Belohnung für die Ergreifung des Unbekannten ausgesetzt, der Craddock ermordet hat.«
»Craddock?«
»Der Mann, der das Pech hatte, auf Excalibur aufpassen zu müssen. Dreitausend Pfund, Raven. Reizt Sie das nicht?«
Raven zog die Brauen zusammen. »Seit wann ist Scotland Yard so freigiebig?«
»Wir schätzen es nicht, wenn man unsere Leute praktisch in unserem Wohnzimmer ermordet«, sagte Card gereizt. Er sog an seiner Zigarette und starrte nachdenklich zu Boden. »Es geht schon los, nicht wahr?«
»Was?«
»Seit dieses verdammte Messer aufgetaucht ist, passiert eine Katastrophe nach der anderen. Was glauben Sie - wird dieser Lance aufgeben, wenn wir Thompson haben?«
»Keine Ahnung, Inspektor. Ich weiß nur, dass ich alles daransetzen werde, Excalibur vor Ihnen in die Hände zu bekommen.«
»Und was haben Sie damit vor, wenn ich fragen darf?«
Raven starrte nachdenklich auf das Bild der Zerstörung, das sich seinen Augen bot. Er dachte an ein anderes, ähnliches Bild, das er am vergangenen Abend gesehen hatte, an eine Leiche in einem Krankenhausbett und einen hilflosen alten Mann, der das Pech gehabt hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.
»Ich werde es zerstören«, sagte er einfach.
Card schwieg eine ganze Weile.
»Als Scotland-Yard-Inspektor im Dienste«, sagte er schließlich langsam, »muss ich Sie natürlich warnen. Die Waffe ist Eigentum der englischen Regierung und von höchstem wissenschaftlichen Wert.« Plötzlich grinste er. »Als Privatmann gestatten Sie mir eine Frage: Wie wollen Sie vorgehen?«
Die Gestalt bewegte sich wie ein schemenhafter Schatten durch die verlassenen U-Bahn-Schächte. Die Stollen waren hoch, feucht und vollkommen dunkel. Aber der Unheimliche schien seinen Weg trotzdem mit traumwandlerischer Sicherheit zu finden.
Sein ehemals weißes Gewand war längst zerrissen und verdreckt. Eingetrocknetes Blut hatte dunkle, verkrustete Bahnen auf seinen nackten Armen hinterlassen, und sein Gesicht wirkte eingefallen und wächsern. Die Haut spannte sich wie rissiges Pergament über den Wangenknochen. Vom medizinischen Standpunkt her hatte Lance kein Recht, überhaupt noch am Leben zu sein. Aber es gab etwas, das ihn aufrecht hielt. Eine unbekannte böse Macht, die wie eine sonnenheiße Flamme in seinem Inneren brannte und seine Glieder immer wieder antrieb. Eine unerschöpfliche Kraft, die von der schimmernden Klinge in seiner rechten Hand ausging.
Er verließ den Hauptstollen und drang in einen niedrigeren, engen Nebengang ein, der ihn in östliche Richtung führte. Ein verrostetes Metallgitter versperrte ihm den Weg. Lance blieb stehen, umfasste den kühlen Griff des Schwertes mit beiden Händen und schlug zu. Der zentimeterstarke Stahl zerriss wie dünnes Pergament. Lance fegte die verbogenen Reste des Hindernisses mit der Hand beiseite und ging weiter. Seine nackten Füße erzeugten ein patschendes, helles Echo auf dem feuchten Steinboden.
Nach einer Weile blieb er stehen. Seine Blicke tasteten über den feucht glitzernden Stein der Wände. Schließlich hatte er gefunden, wonach er suchte: eine schmale, kaum sichtbare Linie, die die Wand dicht vor ihm durchschnitt. Er trat an die Wand heran, tastete mit gefühllosen Fingerspitzen über das rostige Eisen der Tür und sprengte den Verschluss schließlich mit einem blitzschnellen Schlag auf.
Modrige, schwere Luft schlug ihm entgegen. Irgendwo rauschte Wasser, und an den Wänden nisteten Schimmelpilze und Verwesung, die den engen Gang mit fahlem Licht erfüllten.
Lance schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung in den Stollen und drang gebückt in das Kanalisationssystem ein.
Irgendwie hatte sich Raven die Sache einfacher vorgestellt. Er wusste, dass es wenig Sinn haben würde, auf eigene Faust nach Thompson zu suchen - wenn Card den Gangsterboss mit all seinen Männern und Verbindungen nicht fand, dann hatte er erst recht keine Chance. Aber er hatte das Buch.
Raven hatte zwar keine genaue Vorstellung davon, wie ihm der Band weiterhelfen sollte, aber es war immerhin besser, sich damit zu beschäftigen, als die Hände in den Schoß zu legen und tatenlos herumzusitzen. Er tat das Naheliegendste und fuhr in die
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