Raven (Shadow Force) (German Edition)
Das Unfassbare war passiert. Lianne war verschwunden. Er hatte ihren unfähigen Bewacher mit einem einzigen Schlag niedergestreckt. Wer hatte bloß dieses unerfahrene Bürschchen für ihren Schutz eingeteilt? Seine pulsierende Wut hatte allerdings auch das nicht verrauchen lassen. Er war schier wahnsinnig vor Sorge um die Frau, die er liebte. Dazu hatten sie Zoran Balakov noch immer nicht dingfest machen können. Er war wie ein glitschiger Fisch, der einem immer wieder aus den Händen flutschte. Ein Fisch, der nicht einfach zu fangen war. Beinahe begann er zu glauben, dass sie es tatsächlich mit einem bösen Geist zu tun hatten. Balakov war eine Plage, die dringend ausgemerzt werden musste. Aber zur Sicherheit brauchte es einen Plan B. Er führte ein kurzes Telefonat und stieg wieder in den Wagen ein. Seine Gedanken kreisten nur um Lianne. Warum hatte sie sie nicht eingeweiht ? Warum hatte sie kein Vertrauen gehabt? Jetzt würde der Feind sie als Köder nutzen, das hatte er vermeiden wollen. Er war so dicht dran gewesen, doch nun hatte Balakov den Spieß herumgedreht. Niemals hätte sie in diese Sache verwickelt werden dürfen. Raven knetete die schmerzenden Hände. Er hätte sein Leben für Lianne gegeben, aber dieses dumme, wunderbare Ding musste auf eigene Faust handeln und sich selbst dem hungrigen Löwen zum Fraß vorsetzen. Die Bomben waren längst gefunden und entschärft worden. Sie hätten selbst bei Zündung keinen gravierenden Schaden angerichtet. Aber wie hätte Lianne das auch wissen sollen. Er raufte sich wohl zum hundertsten Mal die Haare und stierte ins Nichts.
Wie elektrisiert zuckte Raven zusammen, als Franks Handy klingelte. Nur wenige Worte wurden gewechselt. Als sein Freund auflegte, war dessen Gesicht aschfahl, und kleine Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Seine Wangenmuskeln zuckten. Raven vermutet e das Schlimmste.
Hatte man Lianne gefunden? War sie … tot … ermordet?
„Ist etwas mit Lianne?“ Seine Stimme wollte ihm kaum gehorchen. „Ist ihr etwas geschehen?“ Er hing an Franks Lippen und wartete ungeduldig, bis sein Freund endlich zurück zu Sprache und Worten fand.
„Wir sollen zu einem Treffpunkt kommen. Ohne Verstärkung. Balakov will uns auf Ripper Gebiet treffen, dieser Wahnsinnige.“ Frank wirkte zutiefst geschockt und besorgt.
„Ripper Gebiet?“
„Ja. Ein altes Theatergebäude in Whitechapel.“ Frank fluchte und bremste abrupt. Raven wurde schmerzhaft in den Sicherheitsgurt gedrückt. „Es muss seit mindestens zehn Jahren leer stehen.“
„Und Lianne?“
„Balakov sagte, wenn wir sie lebend finden wollen, haben wir dreißig Minuten Zeit. Dann würde die Vorstellung ohne uns beginnen.“
„Worauf wartest du dann? Hol aus der Kiste raus, was sie hergibt.“
„Nichts anderes habe ich vor.“ Franks Stimme war ein heiseres Fauchen. Die Sorge um Lianne musste ähnlich groß sein wie die seine. Sie würden alles daran setzen, Lianne zu retten. Aber dreißig Minuten waren verdammt eng bemessen. Dazu hatten sie keinen qualifizierten Plan, wie sie am besten vorgehen konnten. Ihre Chancen auf Erfolg waren mäßig. Dennoch gehörte Raven nicht zu denen, die schnell aufgaben und lamentierten.
„Kontaktieren wir die Basis?“ Raven versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren.
„Zu gefährlich und zu wenig Zeit.“
„Okay, dann nur wir zwei.“ Raven nickte seinem Freund und Vorgesetz t en bestätigend zu. Er konnte nur hoffen, dass sein Trumpf, den er auch Frank nicht verraten hatte, im letzten Moment stechen würde. Frank wendete den Wagen und gab mit quietschenden Reifen Gas.
„Wir holen uns Lianne zurück.“
Raven wurde in den Sitz gepresst und versuchte, nicht durchzudrehen. Das Blut pumpte seine Angst um Lianne wie ein en Wildbach durch seine Adern. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Auch wenn Frank raste wie ein Irrer, war ihm das nicht schnell genug. Jeder Minute, jede Sekunde war kostbar. Er kramte in seinen Erinnerungen nach den Dingen, die er über die Ripper Morde im Jahr 1888 gelesen hatte. Die blutigen Tatorte der damaligen Verbrechen hatten in den Elendsvierteln Aldgate, Spitalfields, St-George-in-the-East und Whitechapel gelegen, die zum East End und dem angrenzenden Stadtteil der City of London gehört hatten. Die Opfer waren ausschließlich Frauen gewesen, die ihre mageren Einkünfte durch Prostitution bestritten hatten. Ihnen waren die Kehle und die Halsschlagader durchschnitten worden. Anschließend waren an einigen
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