Raven (Shadow Force) (German Edition)
Menschlichkeit abgestreift hatte. Ein Killer mit enormen Kräften und tiefen Abgründen. Ein na r zi s stischer Psychopath. Er würde nie aufhören mit seinem unseligen Tun. So viel war sicher.
Sie vermisste Raven. Seine Nähe, seine Berührung, seine Stärke. In diesem Moment hätte sie sich einfach gern an seine Schulter geschmiegt und seinen harten schottischen Akzent gehört. Seiner Stimme gelauscht, wie sie ihr Mut und Zuversicht zu vermitteln suchte. Sie hatte in der letzten Zeit an Stärke gewonnen und dazugelernt. Sie hatte Einblicke in eine Welt gehabt, die ihr zuvor vollkommen verborgen gewesen war. Eine Welt, die parallel zum normalen Leben existierte. Eine harte und düstere Welt, in der das Recht des Stärkeren zu herrschen schien, gespickt mit Gefahren, Blut und Tod. Hier zählten andere Dinge. Hier kämpfte man ums Überleben. Das hatte sie begriffen.
Es war die Welt der Schattenkrieger, der Shadow Force.
Franks Welt. Ravens Welt.
*
Dexter, Carol, Tommy und die anderen waren schier aus dem Häuschen, als Lianne das riesige Großraumbüro des Guardian betrat. Wochen waren vergangen, in denen sie nichts von ihr gehört hatten. Erst nach gut zwei Stunden hatte sich der erste Aufruhr gelegt und sie hatte alle Fragen soweit wie möglich beantwortet. Endlich konnte sie ihrem Chef alle Informationen zu ihrer brisanten Story geben. Dexters Augen glänzten und er klopfte ihr auf die Schulter. Weitere zwei Stunden später war der Text geschrieben, gesetzt und fand sich als Titelstory auf der ersten Seite der nächsten Zeitungsausgabe wieder. Lianne war stolz auf sich. Die Schnüre um Zoran Balakov zogen sich enger zusammen. Sie konnte dabei tatkräftig mithelfen. Die spitze Feder war manchmal doch mächtiger als das scharfe Schwert. Ihre Stimmung wurde noch besser, als sie tags darauf kurz mit Frank und Raven telefonieren konnte. Die beiden waren wohlauf, das war das Wichtigste. Raven teilte ihr mit, dass sie aufgrund des Artikels einige vielversprechende Hinweise auf den Verbleib des Gesuchten erhalten hätten. Sie verfolgten gerade eine heiße Spur, die hoffentlich zu dem verhassten Verbrecher führen würde. Sie legte erst auf, als Raven ihr versprochen hatte, dass sie beide besonders vorsichtig sein würden. Als sie am Nachmittag ihre Freundin Buzz im Militärkrankenhaus besuchte, gab es weitere Neuigkeiten, die positiv stimmen konnten. Buzz war endlich aufgewacht und Lianne war es möglich, ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Jetzt war es sicher, dass Buzz sich von ihren schweren Verletzungen erholen würde. Lianne begann zu hoffen, dass doch noch alles gut werden würde. Das änderte sich jedoch einen Tag später, als sie einen wunderschönen Strauß mit roten Baccara Rosen erhielt. Glücklicherweise widmete sich Raf Midnight anderen Dingen und achtete nicht auf sie. Er unterhielt sich mit Dexter und trank seinen wohl zehnten Cappuccino an diesem Tag. Sie hastete zum Toilettenraum und wartete , bis sie allein war. Dann öffnete sie den Wassertank der Spülung der dritten Toilette von rechts. Holy moly! Der unbekannte Briefeschreiber hatte nicht gelogen. Sie erblickte die dort angebrachte, blinkende Bombe. Sie fühlte eisige Kälte in ihrem Herzen, die ihren Körper erstarren und ihre Hände zittern ließ, als sie den Deckel der Spülung vorsichtig verschloss. Ähnlich sollte es in anderen Stockwerken aussehen. Sie zweifelte nicht daran, dass es so war. Ihre Freunde und alle Angestellten des Guardian im Gebäude waren demnach in akuter Lebensgefahr. Sie brauchte einen Moment, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Ein perfider Plan. Sie musste gehorchen, sonst waren sie dem Tode geweiht. Zoran Balakov schien ihnen immer einen Schritt voraus zu sein. Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, das Gebäude unbemerkt und ungesehen zu verlassen, wie es in der Zuschrift gefordert worden war. Für einen Moment überlegte sie, Raven und Frank zu kontaktieren. Doch sie verwarf diesen Gedanken als zu unsicher und gefährlich. Sie wurde sicherlich beobachtet und abgehört. Es gab keinen anderen Weg, als dass sie sich auslieferte, um ihre Kollegen zu schützen. Sie musste dieses Opfer bringen, damit ihre Freunde leben würden. Auch wenn es sehr wahrscheinlich ihren eigenen Tod bedeuten würde. Sie machte sich keine Illusionen über ihr Schicksal und straffte die Schultern. Dann schlich sie los.
*
Der Himmel war wolkenverhangen, bedrohlich und düster wie seine Laune. Raven knirschte mit den Zähnen.
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