Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ravinia

Titel: Ravinia
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
eingestellt!«
    Bevor Baltasar antworten konnte, hob Tom die Hand und wimmelte ihn ab.
    Â»Spar’s dir! Ich mache Schluss für heute. Sucht mich nicht!«
    Damit wandte er sich um, stiefelte eiligen Schrittes ins Hinterzimmer. Man hörte die Tür knallen, und Tom war weg.
    Â»Seltsam«, überlegte Baltasar und kratzte sich am Bart. »So aufgebracht hab ich ihn nur ganz selten gesehen.«
    Lara sagte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie war vor ein paar Tagen hier hineingeraten. Baltasar hatte ihr erzählt und eindrucksvoll bewiesen, dass es besondere Schlüssel gab, solche, die ihrerseits die Türen beeinflussten, die man mit ihnen öffnete. Doch noch viel wichtiger war die Tatsache, dass ihre Eltern davon gewusst haben mussten. Baltasar hatte nicht damit hinterm Berg gehalten, dass ihre Eltern beide jenes besondere Geschick besessen hatten, mit dem man einen Beruf wie den des Schlüsselmachers ergreifen konnte. Und Lara habe es vermutlich geerbt. So etwas kam vor. Gar nicht so selten, wie Baltasar erklärt hatte.
    Auf die Frage, warum man dann nie von solchen Schlüsseln hörte, hatte Baltasar geantwortet, dass es letztlich gar nicht so viele gab. Darüber hinaus lag es aber auch an einer Welt, deren Sinn für Absonderlichkeiten verloren gegangen war. Verloren in den wirbelnden Tiefen von Wissenschaft und Beweissucht.
    Jetzt war Lara also seit einigen Tagen Lehrling bei Baltasar. Ihr Großvater hatte auf die empörte Frage, warum er nichts gesagt hatte, nur milde gelächelt und erwidert, er habe ihr doch immer erzählt, dass ihr Vater Schlüsselmacher gewesen sei. Alles Weitere hätte sie ihm sowieso nicht geglaubt. Sie hatten darüber hinaus nicht viel miteinander gesprochen in den letzten Tagen. Bis in den Nachmittag hinein hatte Lara Schule. Danach verbrachte sie viel Zeit in Baltasars Laden. Vornehmlich damit, Schlüsselrohlinge zu sortieren und etwas über die Eigenschaften bestimmter Werkzeuge und Metalle zu lernen. Nichts schien daran magisch, aber Baltasar meinte, man müsse erst einmal wirkliche Schlüssel und Schlösser zu fertigen gelernt haben, ehe man sich an die unwirklichen begeben könne.
    Abends machte sie häufig die vom Nachmittag liegen gebliebenen Hausaufgaben. Nur kurz unterbrochen von einem schweigsamen Abendessen.
    Sie sahen sich einfach zu selten, ihr Großvater und sie. Und wenn, ja, was hatten sie sich zu erzählen? Lara fühlte sich verraten. Nicht vollkommen, nicht zutiefst, und sie hätte mit Worten noch nicht einmal erklären können, warum. Denn die Erklärungen, die sie bekam, klangen logisch und vernünftig. Dennoch fühlte sie sich verraten und war froh um die Zeit in Baltasars Laden, damit sie weniger zu Hause sein musste. Dort, wo sie dieses beklemmende Gefühl von eiskaltem Wasser, das durch die Fassade aus Argumenten und Vernunft drang, quälte.
    Fühlte sie sich nur so, oder war es wirklich der Fall?
    Und jetzt das. Man hatte ihr einige Brotkrumen hingestreut, auf deren Fährte sie sich nun begeben hatte. Und dann hielt man sie hin. Baltasar gab nicht mehr als nötig preis, und Tom, der mürrische Tom, der kein Mann großer Worte oder gar Emotionen war, wurde ungehalten, dass man ihm plötzlich diese Aufgaben überließ. Ein wenig konnte Lara ihn sogar verstehen. Und sie war sich sicher: Hätten sie nicht diesen komischen Vogel Marcion getroffen, hätte sie einige Antworten von Tom bekommen. Denn Tom – das wusste sie jetzt – hielt nicht viel von Geheimniskrämerei. Zumindest nicht, wenn kein Grund dafür sprach. Wenigstens hoffte Lara, dass es so war.
    Â»Du schuldest mir ein paar Antworten, Baltasar Quibbes«, sagte sie schroff zu dem Mann vor ihr.
    Dieser nickte etwas betroffen.
    Â»Ja, wahrscheinlich«, murmelte er. »Aber nicht hier.«
    Â»Wer ist dieser Nicolaes? Wer ist Marcion? Warum schlägt Toms Laune Purzelbäume?«, platzte es dennoch aus Lara heraus.
    Er wollte sie schon wieder trösten! Vertrösten, das hatte sie durchschaut. Und es machte sie wütend.
    Etwas erstickt flüsterte sie: »Antworte mir, ich bin kein kleines Kind mehr! Verflucht!«
    Ihr Leben war wieder einmal wie Herbstregen. Ihr ganzes Leben war wie Herbstregen. Nur hatte sie diesmal eindeutig die falschen Sachen angezogen.
    Baltasar seufzte. Resigniert. Irgendwie traurig.
    Er holte tief Luft.
    Â»Nicolaes ist ein Maler. Maler,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher