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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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sich, warum ihre sorgsam unter der Mütze hervorspitzende Locke nicht schon längst zu Eis erstarrt und im ständigen Geschaukel ihrer schnellen Schritte abgebrochen war.
    Als sie die Ladentür hinter sich geschlossen hatte, schüttelte sie sich die Kälte vom Körper. Sehr zur Belustigung von Baltasar Quibbes.
    Â»Was tust du da?«, fragte er.
    Â»Ich friere«, kam die Antwort postwendend und genauso unterkühlt wie Laras puterrote Wangen.
    Edinburgh hatte sich offenbar eine neue Kältewelle eingefangen, die mit klarem Himmel, Sonnenschein und knackigen Minusgraden daherkam. Und wenn es etwas gab, das Lara noch mehr hasste als graues Januarwetter, dann war es kaltes Januarwetter.
    Ja, sie wünschte sich immer einen Geburtstag mit Sonnenschein, aber eigentlich meinte sie damit Sonnenschein . Richtigen Sonnenschein, der die Haut und das Herz wärmte. Nicht diese Farce von Tageslicht, die nicht einmal den Raureif verscheuchen konnte, der alles bedeckte.
    Außerdem hatte sich ihre Laune auch nicht dadurch gebessert, dass es immer noch einen himmelhohen Berg von Antworten gab, die Baltasar Quibbes ihr schuldete. Lara hoffte nur, dass er nicht so steil war, dass man seinen Abhang wieder hinunterrutschte.
    Â»Wieso benutzt du nicht deinen Schlüssel?«
    Lara legte vorwurfsvoll den Kopf schief.
    Â»Weil ich dazu etwas darüber wissen möchte«, brachte sie es auf den Punkt. »Zumindest mehr, als dass er mich von irgendwoher in die Victoria Street bringt, wann immer ich will.«
    Â»Okay«, meinte Baltasar. Es klang entschlossen. »Dann mal los.«
    Â»Wo ist Tom?«
    Â»Der wird in Ravinia dazustoßen.«
    Â»Was ist Ravinia?«
    Â»Das, meine Liebe, ist wahrscheinlich der Ausgangspunkt all meiner heutigen Erklärungen und ein gutes Stichwort, um damit anzufangen, dir die Seele etwas leichter zu machen.«
    Er zwinkerte.
    Â»Aber zuerst gehen wir dorthin.«
    Â»Wohin?«
    Â»Nach Ravinia.«
    Es klang, als spräche er über das Wetter und nicht über sonderbare Schlüssel.
    Baltasar schnappte sich seinen Mantel vom Haken und schloss die Ladentür ab – offenbar mit einem ganz normalen Schlüssel. Wie kurios, dachte Lara.
    Während er den Mantel überwarf, ging er ins Hinterzimmer.
    Â»Komm schon«, rief er der verdutzten Lara über die Schulter zu.
    Diese ließ sich nicht lange bitten und sputete sich.

    Was für Streiche einem das Leben doch spielen konnte.
    Sie waren durch die Tür an einen anderen Ort getreten. Nein, nicht an einen anderen Ort, wie Lara später feststellen sollte, sondern an jenen anderen Ort. Jener Ort voller Merkwürdigkeiten, der von nun an ein unumgänglicher Bestandteil ihres Lebens sein würde.
    Â» Das ist Ravinia«, stellte Baltasar fest, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er breitete die Arme aus und machte eine ausladende Bewegung, die alles einschloss, was vor ihnen lag. Häuser, Straßen, Menschen.
    Sie standen in einer verwinkelten Straße. Bedeckt mit holprigem Kopfsteinpflaster. Weit und breit fehlte jede Spur eines Autos. Kein Blech, kein Lärm, kein Gestank.
    Dennoch waren sie zweifelsfrei an einem bewohnten Ort.
    Links und rechts drängten sich alte Häuser dicht an dicht. Mit ihnen war es ein wenig wie mit Menschen. Man sah ihnen ihr Alter tatsächlich an. Sie bekamen zwar keine Falten, aber sie wisperten Geschichten aus einer anderen Zeit. Uralte Bausubstanz, Konstruktionen, für die ein heutiger Architekt wahrscheinlich seine Zulassung verlieren würde. Abgenutzte, helle Backsteine türmten sich zu Mauern, Zimmern, Häusern. Versteckt hinter gelblichem Putz, der an zu vielen Stellen schon offenbarte, was er verbergen sollte.
    Dachschindeln aus Schiefer. Gehalten von Balken, deren Bäume ebenso gut das Holz zum Bau der Santa Maria oder des Schreibtischs von William Shakespeare hätten liefern können.
    Lang, schmal, breit, schief vom Wind oder vom Alter. Diese Häuser beheimateten soviel mehr als nur Menschen. In ihnen wohnten die Erinnerungen alter Zeiten.
    Â» Staunen ist einer der Wege zur Weisheit , lautet ein Sprichwort von hier«, kommentierte Baltasar, als könne er Gedanken lesen und wisse, was Lara gerade dachte und fühlte. »Denn Staunen macht uns demütig.«
    Lara konnte einen Augenblick nicht anders, als einfach nur zu nicken. Ja, staunen. Wo war sie hier? Wo lag dieser Ort, an dem die Geschichten in

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