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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Jahren. Wenn es jemanden gibt, der ein Geheimnis hüten kann bis ins Grab, dann ist es Baltasar Quibbes. Leider ist er auf der anderen Seite sehr schlecht darin, Geheimnisse im richtigen Augenblick preiszugeben.«
    Möwen sandten leise ihre Klagerufe in die Nacht. In der Ferne erklang das Horn eines Frachters.
    Â»Wieso warst du heute Nacht da?«
    Jetzt, wo sie sich sicherer fühlte, kamen die Fragen zurück zu Lara und klopften leise, aber beharrlich an die Türen ihres Bewusstseins.
    Â»Ich hatte befürchtet, dass die jüngsten Ereignisse irgendetwas mit dir zu tun haben.«
    Â»Aber wieso?«
    Â»Ich habe einigen Leuten einige Fragen gestellt und mich schließlich entschlossen, heute Nacht in Edinburgh Wache zu halten.«
    Â»Wer ist das eben gewesen?«
    Â»Ein verräterischer Nachtwächter. Einer, der seinen Stolz offenbar vergessen hat. Ich weiß nur nicht, warum.«
    Â»Aber wie konntest du das wissen?«
    Â»Dass es ein Nachtwächter ist? Das sieht man ihnen oft an. Die Art, wie sie gehen, wie sie sich bewegen. Hast du ihn beobachtet? Jeder Schritt ist voll tödlicher Präzision.«
    Ja, ihr Verfolger hatte sich in der Tat unheimlich raubtierhaft bewegt, das war Lara ganz und gar nicht entgangen.
    Sie nickte.
    Â»Das hört sich nicht gut an. Und was genau ist jetzt ein Nachtwächter?«
    Tom beäugte sie zweifelnd.
    Â»Also, dass du das weißt, hätte ich einfach erwartet. Aber gut, macht ja nichts.«
    Er überlegte, wo er anfangen sollte.
    Â»Nachtwächter sind … ja, Nachtwächter eben. Sie bewachen Ravinia, sind wie Überbleibsel aus alter Zeit. Damals, als Nachtwächter ihre nächtlichen Gänge durch die Städte machten, um die Menschen ruhig schlafen zu lassen. Außerdem haben sie die Stunden ausgerufen und die Straßenlaternen entfacht und morgens wieder gelöscht.
    Aber in Ravinia wurden sie zu mehr. Sie sind wie Kinder der Nacht geworden, denn die Nacht ist ihre Freundin. Ein Nachtwächter kann Dinge mit der Nacht anstellen, die wir uns nicht einmal zu erträumen wagen. Was wir an Wundern mit Uhren, Schlüsseln, Spielzeugen und Ähnlichem vollbringen, das können sie mit der Nacht.
    Und außerdem«, fügte er hinzu, »sind sie blitzgefährlich. Wer einen Nachtwächter zum Feind hat, der sollte sich ziemlich warm anziehen.«
    Lara sah an sich herunter. Sie trug einen Pyjama und Hausschuhe, darüber den abgewetzten Mantel, den Tom ihr geliehen hatte. Dieser wiederum trug nur noch seinen Pullover und Jeans, während er mit Lara hier draußen im Wind des Lissabonner Hafens stand.
    Â»Wir sind nicht besonders warm angezogen«, murmelte sie, wohl wissend, dass Tom die Frage dahinter verstanden hatte.
    Â»Ich weiß es nicht«, seufzte Tom. »Ich weiß es nicht.«
    Â»Aber warum war er hinter mir her?«
    Â»Er braucht dich vermutlich, um ein Gedicht zu lesen.«
    Â»Ein Gedicht?«
    Lara glaubte es nicht. Ein Gedicht, na wunderbar, dann sollte er sein Gedicht doch bekommen. Wenn er sie dafür bloß in Ruhe ließ.
    Tom schien das Ganze indes durchaus ernst zu nehmen.
    Â»Ein Gedicht, ja. Und zwar nicht irgendein Gedicht, sondern eines, das deine Großmutter geschrieben hat.«
    Wie das Bimmeln einer kleinen Alarmglocke stach die Erwähnung ihrer Großmutter in ihren Verstand.
    Â»Was weißt du über meine Großmutter?«, fragte sie hastig. Ein wenig Enttäuschung klang auch mit. Trieb etwa auch Tom seine Spielchen mit ihr? Obwohl er doch gesagt hatte, er würde solche Geheimniskrämereien hassen?
    Â»Behältst du also auch alles für dich?«, fuhr sie ihn an, als er ihr nicht sofort antwortete.
    Doch Tom packte sie ruhig und fest an den Schultern und blickte sie mit diesen traurigen Augen an, die sie noch niemals wirklich hatte lachen sehen.
    Â»Hör mir zu«, meinte er. »Ich weiß es selbst erst seit ein paar Stunden.«
    Â»Von wem?«
    Â»Das ist das Einzige, was ich dir nicht sagen werde. Ganz einfach weil es manche Leute nicht wünschen, dass man ihre Namen weitergibt.«
    Er überlegte kurz, dann wandte er sich von Laras kastanienbraunen Augen ab und blickte wieder hinunter zum Hafen.
    Â»Früher, als du noch nicht geboren warst und ich Ravinia noch nicht kannte, gab es einen Mann. Sein Name war Winter. Roland Winter. Obwohl er sich zuletzt wohl nur noch Lord Winter hatte nennen lassen.
    Roland Winter war in

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