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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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dunklen Mantel hinhielt.
    Â»Nun mach schon«, drängelte er. »Du hast nur deinen Pyjama an. So fällst du auf.«
    Er hatte recht, dachte Lara und streifte missmutig die zu langen Ärmel über.
    Währenddessen sah Tom sich um und entdeckte – sehr zu seiner Freude – einen verschlossenen Kiosk. Er steckte einen Schlüssel in die Tür und machte sie auf.
    Â»Aber was ist mit den Überwachungskameras?«, warf Lara ein.
    Â»Es wird kein Einbruch gemeldet werden, wieso sollte sich also jemand die Überwachungsbänder ansehen?«
    Tom zuckte mit den Schultern, und Lara musste einsehen, dass er mit diesem Argument recht hatte.
    So traten sie durch die Tür hinaus auf eine lange Promenade. Es roch nach Meer. Die Temperaturen lagen deutlich höher als im stürmischen Edinburgh, selbst um diese Tageszeit. Zwar war es nicht wirklich warm, aber erträglich. Eine Palme ragte ihnen gegenüber auf, und ein warmer, salziger Wind wehte Lara ins Gesicht, während irgendwo in der Ferne eine Möwe schrie.
    Â»Wo sind wir denn nun schon wieder?«
    Â»In Lissabon.«
    Tom hatte die Tür hinter sich zugezogen, die eigentlich zu einem kleinen Schuhgeschäft gehörte.
    Â»Ich dachte mir, hier ist es nicht so kalt. Nach Ravinia können wir im Moment nicht, das ist zu gefährlich. Ich fürchte, wir müssen ein paar Stunden hierbleiben.«
    Â»Hast du ein Handy?«
    Â»Warum?«
    Â»Ich muss wissen, wie es Großvater geht«
    Â»Beruhige dich, er sah nicht sehr lädiert aus. Kommt sicher mit ein paar blauen Flecken davon.«
    Das war erst mal gut zu wissen. Lara holte Luft, jetzt kamen die Fragen, doch Tom wehrte ab.
    Â»Lass uns ans Wasser gehen«, meinte er. »Dort reden wir.«

    Dunkelheit ist wie Eis, das wusste Lara. Man fror. Doch im Gegensatz zu Eis konnte man gegen die Dunkelheit nichts anziehen.
    Sie stiegen einige Treppen hinab, zwischen den eng aneinanderstehenden Häusern, auf denen der sonnengebleichte Kalkputz im Schein der Straßenlaternen gelblich wirkte. Wie Stufen einer überdimensional großen Treppe lag Lissabon um den Fuß eines Hügels herum.
    Die letzten Touristen des vergangenen Tages wankten grölend aus den Bars über die leeren Straßen und ließen die Anwohner unruhig schlafen.
    Schließlich gelangten sie zu einer großen Hafenmauer. Tom stieg die Stufen ohne Zögern hinauf, Lara folgte ihm. Es war frisch hier oben, aber nicht so schneidend kalt. Toms Mantel reichte ihr bis zu den Füßen. Er war aus altem, abgetragenem Loden, aber nicht sehr schwer. Dennoch hielt er warm. Tom hingegen verschränkte die Arme vor dem Körper, als der Wind aufheulte und durch die Maschen seines Wollpullovers pfiff.
    Sie blickten auf den alten Hafen, der auch zu dieser Stunde unruhig wirkte. Grüne und rote Tonnen wiesen den vielen Schiffen ihren Weg durch die Mündung des Tejos. Außerdem gab es ein Leuchtfeuer, weiter draußen, dort, wo die Bucht in den offenen Atlantik überging.
    Der Charme war ein wenig vergleichbar mit dem des Firth of Forth, jener riesigen Bucht, an der Edinburgh liegt. Nur wirkte die See hier nicht so rau, nicht so bissig, sondern zahmer. Wie ein sanftmütiger Riese. Doch Lara wusste, dass das nicht stimmen konnte. Das Meer war immer und überall ein Gefährte, dem man mit Respekt zu begegnen hatte. Vor allem, da es sich hier nicht um die Nordsee, sondern den großen, offenen Atlantischen Ozean handelte, in den der Tejo mündete.
    Trotzdem überkam Lara eine gewisse Ruhe. Sie war in Sicherheit, ihr Großvater ebenfalls, hatte Tom gesagt. Das Adrenalin klang langsam ab, und Erleichterung machte sich in ihrem Herzen breit.
    Tom sog die milde Luft in langen Zügen ein.
    Â»Früher bin ich oft hergekommen«, sagte er schließlich. Er sah Lara nicht an, sah auf die See hinaus.
    Â»Früher, bevor ich aufgegeben habe, Fragen an die Leute zu stellen, die sie auf jeden Fall hätten beantworten können, es aber nicht taten.«
    Mit den Füßen scharrte er über die sandigen Steinplatten des Gehwegs.
    Â»Ich habe resigniert«, meinte er. Es klang, als würde er sich selbst etwas eingestehen. »Es ist nicht leicht, Baltasars Lehrling zu sein. Diesen Mann umgibt ein Nebel von Geheimnissen, die er nur ungern preisgibt. Auch wenn er weiß, dass ich mir meine Antworten zum größten Teil selbst zusammengesammelt habe in den letzten

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