Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
behaupte ich einfach, mich verlaufen zu haben, lege ich mir bereits
eine Ausrede parat.
Licht flutet meine Augen. Ein bestialischer Gestank
nach Blut, Schweiß und Körpersalzen schlägt mir entgegen. Ich blinzele
vorsichtig in den Raum, reiße die Augen auf und erstarre. Was ich sehe, kann
ich einfach nicht glauben. Nein, nein, das
kann nicht sein. Hastig drehe ich mich um, höre wie die Tür hinter mir
zuschnappt, und laufe mit zitternden Knien den Gang zurück.
War Kill auch in dem Raum? Denk nach und reiß dich gefälligst zusammen!, herrscht mich mein
kritisches Ich an. War er im Raum? Hat er diese Gräuel begangen? Alles in mir
weigert sich, ihm so etwas zuzutrauen. Nur meine Logik sagt mir, wer sonst? Vergiss nicht, er ist ein Wolfer. Bevor mein Gefühl sich wieder
dazwischen schaltet, verbiete ich mir jeden weiteren Gedanken an ihn. Ich
konzentriere mich auf die Gänge, die weißen und grauen Wände, die
unterschiedlichen Bodenbeläge, aber es gelingt mir nicht. Immer wieder sehe ich
die Farbe getrockneten Blutes. Wo auch immer ich hinblicke, drängt sich der
Horror dazwischen, den ich in der Gefangenenhalle gesehen habe. Blutrot. Die
Farbe blitzt in meinem Kopf auf.
Als ich endlich den Packraum erreiche, sind meine
Knie weich wie Gummi. Ich habe keine Ahnung, ob mir jemand gefolgt ist. Zum
ersten Mal seit Langem bete ich.
Bitte!
Ihr gütigen
Götter,
helft mir!
Sagt mir,
was ich tun soll!
Amen.
»Wo bleiben Sie denn?« Eine Frau in grauer Schutzkleidung
kommt mir entgegen. Sie hält mir einen ebensolchen Arbeitskittel hin. »Ziehen
Sie den bitte an!«
Ich halte mir den Mund zu. »Ich glaube, ich muss
mich übergeben.«
»Da lang!« Sie zeigt auf ein Schild, das die
Damentoilette kennzeichnet. Ich flitze los.
Hinter meinem Rücken höre ich sie schimpfen. »Es
ist immer dasselbe. Wenn sie zum Arbeiten zu krank sind, schicken sie uns die
Kinder ins Packlager.«
Gerade noch rechtzeitig falle ich auf die Knie und
hänge den Kopf über die Kloschüssel. Mein Magen dreht sich um, dann entledigt
er sich meines Mittagessens. Ich zittere und kralle mich an den Rand der
Keramik. Erschöpft würge ich weiter, bis nur noch Galle kommt. Langsam erhebe
ich mich, drücke den Spülknopf und beuge mich über das Waschbecken. Ich spüle
mir den Mund aus, klatsche kaltes Wasser ins Gesicht. Dann lehne ich mich gegen
die kühlen Kacheln und schließe die Augen.
» Wer tut
so etwas?«, flüstere ich mit Tränen in den Augen. Ich weiß gar nicht, wie ich
den Rest des Tages überstehen soll, denn ich muss gleich durch die Tür treten
und so tun, als sei alles in allerbester Ordnung.
Am liebsten möchte ich laut schreien und heulen.
2
S o
weit seine Augen auch blicken,
er sieht
nur grausame Schlächter,
die alles
Getier in den Tod schicken.
Nirgends
findet er gütige Wächter.
(Vers.
3.064, Joshua F. Grey)
Connor
E s gibt nichts Ekelhafteres,
als vom bestialischen Gestank des Todes verfolgt zu werden. Er krallt sich in
deine Riechzellen und schwelt in deiner Nase.
Einer war
tot, hämmert es in meinem Kopf. Einer
…
Er lag mit
verrenkten Gliedern und glasigen Augen auf dem nackten Beton.
Dieser
Geruch!
Trotz meines leeren Magens ist mir übel. Ich
versuche an Pfefferminze zu denken – sehne den Geschmack und Geruch herbei,
aber es gelingt mir nicht.
Wo sind die Engel hin? Und wo sind die Götter, die
mir versprachen, in düsteren Stunden bei mir zu sein? Ich bete, aber niemand
antwortet mir.
Vorsichtig, damit ich die Anderen nicht wecke, wälze
ich mich im Bett von einer auf die andere Seite.
Ich horche.
Sie atmen gleichmäßig.
Meine Glieder sind zentnerschwer, meine Augen
brennen und ich lechze nach erlösendem Schlaf. Doch meine Gedanken finden keine
Ruhe.
Warum habe ich bloß diese verdammte Tür geöffnet?
Was ich gesehen habe, hat sich tief in meine
Netzhaut und in meine Gedanken eingebrannt.
Schwarzer
Schorf auf nackter Haut.
Geschundene
Rücken.
Blut und Eiter verfolgen mich, kleben an mir,
züngeln nach mir und umschlingen mich wie eine wütende Kreuzotter – nein, wie tausend
stinkende Würmer und eklige Kriechtiere.
Der süßlich-faulige Geruch abgestorbenen Fleisches
beißt noch immer in meine Nase. Im Dunkeln der Nacht sehe ich dieGesichter der Verstümmelten vor mir.
Ausgemergelte
Wangen.
Augen – und
so viel Angst darin.
Kinderaugen.
Drei Tage lang bin ich kaum ansprechbar. Barbie
und Connor belüge ich, ich hätte Heimweh. Kiki erzähle ich,
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